taz.de -- Menschenrechtler Bjaljazki über Haft: „Der Körper hat sich noch nicht vollständig umgestellt“

Der belarussische Nobelpreisträger Ales Bjaljazki über seine Erfahrungen in Haft – und darüber, wie er den Kampf für Menschenrechte weiterführen wird.
Bild: Glücklich aber fern der Heimat: Ales Bjaljazki spricht in Vilnius nach seiner Freilassung zu Unterstützern

taz: Herr Bjaljazki, kurz vor Weihnachten hat der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko [1][123 politische Gefangene aus der Haft entlassen.] Alle von ihnen wurden außer Landes gebracht. Auch Sie waren unter den Freigelassenen und halten sich derzeit in der litauischen Hauptstadt Vilnius auf. Haben Sie an ein solches Wunder kurz vor Weihnachten geglaubt?

Ales Bjaljazki: Ja, das war ein Weihnachtsgeschenk. Während ich noch im Gefängnis saß, habe ich meinen Mitgefangenen das ganze Jahr über gesagt, dass 2025 für uns das Jahr der Freiheit werden würde. Ich wusste zwar nicht, ob das wirklich geschehen würde, aber für mich und einige andere politische Gefangene ist es dann tatsächlich so gekommen. Aber [2][mehr als 1.100 Menschen in Belarus sitzen leider noch immer in Gefängnissen ein].

taz : Wie geht es Ihnen?

Bjaljazki: Irgendwie werde ich immer noch sehr stark von meinen Emotionen überwältigt und ich schlafe schlecht. Ich fühle mich manchmal so, als sei ich immer noch im Gefängnis. Allmählich, denke ich, wird sich das alles normalisieren. Es braucht nur etwas Zeit. Anhaltender psychischer und moralischer Druck wirkt sich oft auch körperlich aus. Und wenn man danach in eine freie Umgebung kommt, umgeben von seinen Lieben, von seiner Frau und dann plötzlich die Möglichkeit hat, sich ungestört zu unterhalten und Freunde zu treffen, ist das zunächst ein starker Schock. Der Körper hat sich noch nicht vollständig umgestellt. Dennoch komme ich nun langsam hier an.

taz: Was war für Sie die schwerste Belastung während Ihrer Haft?

Bjaljazki: Ich war in ständiger Sorge um meine Familie und meine Angehörigen. Das war natürlich schwer, weil es keine Möglichkeit gab, Kontakt zu ihnen zu haben. Hinzu kam der Beginn von Russlands vollumfänglichem Krieg gegen die Ukraine. Dieser Moment war auch sehr beängstigend. Denn es war klar, dass unsere belarussischen Probleme in den Hintergrund treten würden und für die Europäische Union und die internationale Gemeinschaft dieser Krieg sozusagen den gesamten Himmel verdunkelte. Auch hat mich sehr die Frage beunruhigt, wie es weitergehen würde. Würde die Ukraine sich gegen diese Aggression wehren können? Denn davon hängt auch die Situation in Belarus sehr stark ab.

Aber wir wissen, [3][dass Lukaschenko Putins Aggression von Anfang an unterstützt hat] und Moskau wahrscheinlich hoffte, den sowjetischen imperialen Raum wiederherzustellen. Und es war klar, dass unser Schicksal noch trauriger sein würde, wenn Putins Abenteuer Erfolg haben würde. Das waren die beiden Momente, die wahrscheinlich am schlimmsten waren. Hinzu kam noch die Zeit in der Isolation. Die Behandlung war einfach unmenschlich. Es war furchtbar kalt, aber man musste es einfach ertragen.

taz: Wenn Sie darüber sprechen möchten: Wurden Sie in der Haft auch körperlich misshandelt?

Bjaljazki: Nein, [4][angesichts der Tatsache, dass mir 2022 der Nobelpreis verliehen worden war, hatten sie danach irgendwie Angst vor mir.] Es war offensichtlich, dass es Anweisungen gab, mich körperlich nicht anzutasten. Während dieser Zeit musste ich, wie alle anderen Gefangenen auch, arbeiten.

taz: Welche Aufgaben wurden Ihnen zugewiesen?

Bjaljazki: Ich arbeitete in einer Werkstatt des Gefängnisses als Hilfsarbeiter. Das ist die unterste Stufe. Dort musste ich Bretter tragen und die Abfälle hinausbringen.

taz: Ihrer Freilassung folgte eine Deportation, wenn man das so sagen kann …

Bjaljazki: Ja, das war tatsächlich so. Wir sind in Freiheit, aber außerhalb von Belarus. Für Belarus sind wir gefährliche Feinde. So nennt uns Alexander Lukaschenko. Deshalb wurden wir ausgewiesen. All dies erinnert an Praktiken aus der sowjetischen Vergangenheit, wie sie insbesondere in den 1920er Jahren angewandt wurden. Auch später kam es zu ähnlichen Vorgehensweisen. So wurde der [5][Literaturnobelpreisträger Alexander Solschenizyn] in den 1970er Jahren in ein Flugzeug gesetzt und außer Landes gebracht.

taz: Sie haben die jüngsten Freilassungen als eine Art „Weihnachtsgeschenk“ bezeichnet. Aber falsche Illusionen über das Regime in Minsk sollte sich niemand machen, oder?

Bjaljazki: Wir reden von einer Art Menschenhandel. Es wird unverblümt zwischen dem Westen und Belarus Handel getrieben. Einerseits bin ich froh, freigelassen worden zu sein. Aber es ist beklemmend, sich wie ein Sack Mehl oder Kaffee zu fühlen, der gegen belarussisches Kalium und die Aufhebung von Sanktionen getauscht wurde. Jeden Tag erreichen uns neue Nachrichten über weitere Repressionen. Jemand wurde festgenommen, jemand inhaftiert und jemand verurteilt. Dieser Kreislauf kann endlos so weitergehen. Deshalb ist es wichtig, in erster Linie die Freilassung aller politischen Gefangenen und ein Ende der Repressionen zu erreichen.

taz: Wie kann man diesen Kreislauf durchbrechen?

Bjaljazki: Man bräuchte einen mächtigen Hebel, auf den die belarussischen Behörden reagieren müssten, nämlich Wirtschaftssanktionen. Das war das Einzige, was sie letztendlich dazu gebracht hat, politische Gefangene freizulassen. Lange Zeit hat Lukaschenko dem nicht zugestimmt, zumal Minsk wirtschaftliche Hilfe von Russland erhielt. Damals gab es die sogenannten Importsubstitutionen, als belarussische Waren in den letzten Jahren aktiv nach Russland verkauft wurden. 70 Prozent der belarussischen Exporte gingen nach Russland. Aber dann begann die russische Wirtschaft zu schwächeln und Moskau kaufte weniger belarussische Waren. Deshalb begann dieser Handel: Aufhebung der Sanktionen und im Gegenzug dafür die Freilassung von Gefangenen. Dieser Handel hat eine wichtige Rolle auch für unsere Befreiung gespielt.

taz: Sollte die EU dem Beispiel der USA folgen?

Bjaljazki: Ich denke, dass die Position der Europäischen Union sehr wichtig ist, weil sie ziemlich stabil ist. Derzeit hebt Brüssel die Sanktionen nicht auf und ich halte es für richtig, sie auch weiterhin aufrechtzuerhalten. Notwendig sind in Belarus jetzt zunächst strukturelle Veränderungen – zumindest ein Ende weiterer Festnahmen, keine neuen politischen Gefangenen und die Freilassung aller Menschen, die derzeit noch in Haft sitzen.

taz: Mit Ihnen sind auch weitere führende Vertreter*innen der Opposition wie [6][Maria Kalesnikava] oder [7][Viktor Babaryko ] frei gekommen. Könnte das neue Handlungsspielräume für die demokratischen Kräfte im Exil eröffnen?

Bjaljazki: Das ist schwierig, weil man als jemand, der im Exil lebt, von der Gesellschaft in Belarus isoliert ist. Aber gleichzeitig gibt es heute viele Instrumente, die wir nutzen können. Dazu zählen soziale Netzwerke und andere Kommunikationsmittel. Glücklicherweise haben die Belaruss:innen jetzt noch die Möglichkeit, in die Europäische Union einzureisen. Es ist daher sehr wichtig, dass sich die Mitgliedstaaten der Europäische Union, unter anderem Deutschland, einfachen belarussischen Bürger:innen gegenüber nicht verschließen. Erinnern wir uns an die Erfahrungen mit großen Einwanderungswellen, wie beispielsweise der polnischen Emigration. Sie hatte einen starken Einfluss auf die Ereignisse in Polen in den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts. Das könnte heutzutage auch in Belarus der Fall sein.

taz: Wollen Sie ihre Arbeit als Menschenrechtler fortsetzen?

Bjaljazki: Das hängt von dem persönlichen Wunsch und den Aktivitäten eines und einer jeden Einzelnen ab. Für mich beantworte ich diese Frage mit Ja. Es ist sehr wichtig, dass diejenigen, die sich jetzt im Ausland befinden, nicht aufgeben, sondern weiterkämpfen.

24 Dec 2025

LINKS

[1] /Politische-Gefangene-in-Belarus/!6137996
[2] https://razam.de/politische-gefangene/
[3] /Diktator-in-Belarus/!6029475
[4] /Friedensnobelpreise-2022/!5884224
[5] https://www.deutschlandfunk.de/vor-50-jahren-alexander-solschenizyn-erhielt-den-100.html
[6] https://www.amnesty.de/mitmachen/belarus-maryia-kalesnikava-juli-2025
[7] https://www.bbc.com/news/articles/c4gpgejel5ko

AUTOREN

Tigran Petrosyan

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