taz.de -- Katholik über Kirche und Politik: „Die Kirche muss sich einmischen“
Der katholische Theologe Thomas Söding hält die Kirche vom Ursprung her für politisch. Daher sollte sie Stellung in tagespolitischen Debatten beziehen.
taz: Herr Söding, hat die CDU-Politikerin Julia Klöckner recht: Ist die Kirche eine NGO?
Thomas Söding: Die Kirche ist tatsächlich von jeder Regierung unabhängig. Sie ist die Kirche. Hier bekommen der Gottesdienst und die Glaubensfragen einen Raum. Wir brauchen im politischen Feld keine Privilegien. Wir bringen aber aus dem christlichen Menschenbild unsere Auffassungen öffentlich und ohne Scheuklappen in den Diskurs ein.
taz: Muss die Kirche aber auch zwingend politisch sein?
Söding: Die Kirche ist von ihrem Ursprung her politisch, auch wenn sie nicht um der Politik willen gegründet worden ist. Diesen Auftrag nimmt sie wahr, immer in Kontakt mit den Herausforderungen der Zeit. Auf der einen Seite haben wir einen starken sozial-ethischen Anspruch. Auf der anderen Seite sind wir entschieden für die Freiheit des einzelnen Menschen, gerade dann, wenn es sich um vulnerables Leben handelt.
taz: Haben die Kirchen deshalb Bundeskanzler Merz scharf für seine Migrationspolitik kritisiert?
Söding: Das Thema Migration ist eines, bei dem es seit Jahrzehnten immer wieder zu Auseinandersetzungen kommt. Wir verstehen, dass eine Regierung die Interessen einer Nation berücksichtigen muss. Die katholische Kirche ist jedoch eine Weltkirche. Deshalb ist der Horizont weiter. Wir müssen einen menschenrechtlichen Ansatz verfolgen und Migration und Integration zusammen denken. Dafür brauchen wir rechtsstaatliche und europafreundliche Lösungen. Migration als eine Bedrohung zu betrachten, [1][halten wir für falsch und gefährlich.]
taz: Wie angespannt ist das Verhältnis zwischen Politik und Kirche?
Söding: Eine Veränderung ist deutlich geworden. Auf der einen Seite sehen wir eine Krise der Kirche – [2][zum Beispiel bei den Mitgliederzahlen]. Auf der anderen Seite gibt es auch eine Krise der Demokratie. Ich frage mich, ob es zwischen beidem nicht eine direkte Beziehung gibt. Unsere Gesellschaft braucht Kräfte, die Politik möglich machen – und der Politik eine Orientierung geben.
taz: Welche Kräfte?
Söding: Da sehe ich die Kirchen gefordert. Wir sind als Zentralkomitee, als Vertretung der katholischen Zivilgesellschaft, stark im politischen Raum unterwegs. Die Kirchen müssen ihre eigenen Problemen lösen. Aber auch öffentlich die Stimme erheben. Schwächer werdende Kirchen sind immer noch stark und die größten gesellschaftlichen Organisationen. Ich bin sehr dankbar, dass es diese Kontakte zur Politik, die Auseinandersetzung und ruhig auch mal den einen oder anderen Streit gibt.
taz: Sollte sich die Kirche in die Tagespolitik einmischen?
Söding: Ja, selbstverständlich muss sich die Kirche in die Tagespolitik einmischen. Die Kirche wird ja auch aufgefordert, zu tagesaktuellen Positionen Stellung zu beziehen. Sie darf sich von der Tagespolitik nur nicht auffressen und hetzen lassen. Sie muss immer die größeren Zusammenhänge darstellen. Meinungen haben viele. Wir aber brauchen Argumente, die sich auch im Konflikt bewähren. Komplexe Herausforderungen brauchen differenzierte Lösungen. Dafür die Räume zu schaffen, das ist in der Kultur, in der wir gegenwärtig leben, enorm wichtig. Wir wollen in der katholischen Kirche, möglichst verbunden mit unseren christlichen Geschwistern und ebenso mit dem Judentum und dem Islam, versuchen, Religion als einen Produktivfaktor für die Demokratie zu entwickeln.
taz: Wie verläuft der Diskurs innerhalb der Kirche?
Söding: Es gibt mehr als 20 Millionen Mitglieder der katholischen Kirche und die haben natürlich unterschiedliche Auffassungen. Bei einem Punkt ist die katholische Kirche glasklar: Mit [3][Rassismus], Rechtspopulismus und der [4][AfD] haben wir nichts zu tun. Sehr wahrscheinlich gibt es aber Mitglieder der katholischen Kirche, die solche Ansichten haben und solche Parteien wählen. Wir sehen darin einen fundamentalen Widerspruch. Wir sind für eine wertegeleitete Politik. Und der zentrale Wert, von dem wir immer ausgehen, ist die Unantastbarkeit der Menschenwürde.
15 Jul 2025
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