taz.de -- taz-Diskussion in München: Olympiareife Gedankenspiele
Die taz ist mit ihrer Seitenwende auf Tour. In München ging es hoch her, als über das Für und Wider einer Olympia-Ausrichtung diskutiert wurde.
München taz | Wer dieser Tage mit dem Zug am Hauptbahnhof in München ankommt, muss denken, dass bald ganz Großes ansteht in der Stadt. Die Besucher der Stadt werden von riesigen Baustellen in Empfang genommen. Was wohl anstehe in der Stadt, mögen manche sich fragen. Ein großes Sportevent vielleicht? Wer etwa im Jahr vor der Fußball-WM 2018 in Russland versucht hat, zu Fuß durch die Innenstadt von Moskau zu gehen, der wird sich nicht an viel mehr erinnern als an Bauzäune, Behelfsgehwege und ausgehobene Baugruben. In München rund um den Hauptbahnhof sieht es dieser Tage auch nicht viel besser aus.
Der Bahnhof selbst ist eine Baustelle, der Warenhauskomplex gegenüber steht leer und ist von Bauzäunen umgeben. Er gehört zu den zahlreichen Immobilienleichen des österreichischen Superpleitiers René Benko in der Münchner Innenstadt. Der andauernde Versuch, aus dem für Münchner Verhältnisse traditionell schäbigen Bahnhofsviertel ein ordentliches Wohn- und Geschäftsumfeld zu machen, hat dazu geführt, dass die Schwanthalerstraße, die von der Innenstadt an der Theresienwiese vorbei in den Gentrifizierungshotspot Westend hinaufführt, mal linksseitig, mal rechtsseitig wegen Baumaßnahmen verengt ist.
Hinter einer dieser Baustellen, deren Geruch nach frisch gegossenem Beton die Düfte aus den zahlreichen Dönerbuden und exotischen Imbissrestaurants längst überlagert, befindet sich eine der seltenen Oasen der Gegenkultur in der Wirtschaftsmetropole. Im Eine-Welt-Haus haben etliche soziokulturelle Vereine, die sich um das Miteinander der stark migrantisch geprägten Stadtgesellschaft kümmern, ihr Zuhause. Passt zur taz, haben sich die Organisatoren der Seitenwende-Tour gedacht und am Freitag zur Podiumsdiskussion geladen: Es soll um eine mögliche Bewerbung der Stadt für die Olympischen Sommerspiele gehen.
Steht also doch tatsächlich Olympia vor der Tür? So schnell geht’s dann auch wieder nicht. All die Baustellen, die für das hässliche Entrée in die Stadt sorgen, haben nichts mit diesem Megaevent zu tun. Es geht um die Spiele 2036, 2040 oder 2044.
Es ist der ausdrückliche Wille des im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) organisierten Sports, die Spiele nach Deutschland zu holen. Der Bund unterstützt das Ziel. Eine Bewerbung für die Ausrichtung von Olympischen und Paralympischen Spielen ist im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD als Teil einer „nationalen Strategie“ Sportgroßveranstaltungen explizit als Ziel formuliert. Wer vom DOSB dann ins Rennen geschickt wird, um den Zuschlag des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) zu erlangen, entscheidet sich erst im Herbst 2026. Doch der nationale Kampf darum ist längst entbrannt.
Vier Möchtegernbewerber gibt es aus Deutschland. Da ist Berlin, das gerne schon 2036 Gastgeber sein möchte, um der Welt zu zeigen, wie weltoffen die Stadt geworden ist seit dem Propagandaspektakel bei den Nazispielen von 1936. Hamburg, dessen Olympiabewerbung für die Spiele 2024 von der Stadtbevölkerung in einer Volksabstimmung abgelehnt wurde, will wieder ins Rennen gehen. Und die Region Rhein-Ruhr versucht es ebenfalls nochmal, nachdem ihre Bewerbung für die Spiele 2032 auch daran gescheitert war, dass die Bewerber selbst nicht so genau wussten, wie das Procedere beim IOC eigentlich abläuft. Und München natürlich. Die Stadt hätte nach 1972 die Spiele gerne ein zweites Mal.
Warum eigentlich? Das war eine der Fragen, die es bei der Podiumsdiskussion in München, moderiert von taz-Redakteurin Harriet Wolff, zu beantworten galt. Julia Schönfeld-Knor, die für die SPD Sportthemen im Münchner Stadtrat bearbeitet, erinnerte an die faszinierenden Bilder, die im vergangenen Jahr um die Welt gegangen sind. Die Stadt Paris als Kulisse für Spitzensport hatte ikonische Bilder geliefert. Und auch von der Stimmung in der Stadt hat sie geschwärmt. Sie war selbst ein paar Tage in Paris, um Olympialuft zu schnuppern. So etwas täte München gewiss ebenfalls gut, glaubt sie.
Auch Beppo Brem, sportpolitischer Sprecher der Grünen im Stadtrat, ist die Diskussion mit eher gefühligen Argumenten angegangen. Wie sich die Stadtbevölkerung auf die European Championships 2022 eingelassen habe, hat er in bester Erinnerung. Europameisterschaften in der Leichtathletik, im Radsport, im Kunstturnen, Rudern, Triathlon, im Kanurennsport, Beachvolleyball, Tischtennis und Sportklettern waren zu einem Multisportevent zusammengeschraubt worden, das zum Großteil in den alten Olympiaanlagen von 1972 stattgefunden hat. Dass er so schwärmt von diesem Sportevent, dessen kulturelles Begleitprogramm im Olympiapark den Münchnerinnen und Münchnern einen wahren Festivalsommer beschert hat, wird niemanden verwundern. Er gehörte zum Organisationskomitee der Championships. „Unfassbar beeindruckend“ fand auch er die Bilder aus Paris im vergangenen Jahr.
Moritz Burgkardt, der sich in der Initiative [1][#ausspekuliert] gegen den Ausverkauf der Stadt an Spekulanten engagiert, war das „fast schon zu viel Olympiaromantik“. Er habe nun wahrlich nichts gegen Sport, aber nach allem, was er wisse, sei ein Nebeneffekt in Gastgeberstädten der Spiele die dauerhafte Erhöhung der Preise auf dem Immobilienmarkt. Und der sei in München ja ohnehin völlig überhitzt. Olympische Spiele wirkten da, wie „Öl ins Feuer“ zu gießen, sagte er und erntete Applaus im Publikum.
Die Rollenverteilung war schnell klar. Brem und Schönfeld-Knor, die mit ihren Fraktionen für das Bewerbunskonzept gestimmt haben, das Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter zusammen mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder am 20. Mai vorgestellt hatte, argumentierten gegen Burgkardt – und auch gegen die Stimmung im Saal. Für dringend benötigte und auch schon angeschobene Infrastrukturmaßnahmen, wie den Bau einer neuen U-Bahn-Linie, einen S-Bahn-Ring im Münchner Norden oder den Ausbau von Radschnellverbindungen sei Olympia „wie ein Booster“, sagte Schönfeld-Knor. Bund und Freistaat würden sich dann ja auch engagieren. Ein olympisches Dorf im Nordosten der Stadt könne die Erschließung eines ohnehin geplanten Wohngebiets ebenfalls beschleunigen und Wohnraum für 10.000 Menschen schaffen.
Der Grüne Brem warb mit Verve für das Konzept, das vor allem auf der Nutzung vorhandener Sportstätten beruht. Wenn das so, wie es dasteht, umgesetzt würde, hätte München „die nachhaltigsten Spiele der Geschichte“. Es soll nicht allzu viel Beton gegossen werden für die Spiele. Jede Menge Stahlrohrtribünen und temporäre Wettkampfstätten sollen im Olympiapark aufgebaut werden. Aber ganz so einfach ist das alles nicht. Für die olympische Kernsportart Schwimmen ist ein Becken mit zehn Bahnen nötig. Die Olympiaschwimmhalle von 1972 genügt diesen Ansprüchen des modernen Schwimmsports nicht. Nun könnte ein temporäres Becken in eine Multifunktionsarena gebaut werden, die in der Nähe des Münchner Flughafens entstehen soll.
„Was für ein Schmarrn!“
Es ist dies einer der vielen Konjunktive, die bemüht werden, wenn über Spiele gesprochen wird, von denen noch gar nicht feststeht, ob sie überhaupt nach München kommen. „Temporäre Schwimmhalle, was ist das denn für ein Schmarrn!“, rief ein taz-Leser irgendwann Richtung Podium.
Ob Brem und Schönfeld-Knor den Mann bis zum 26. Oktober wohl noch zum Olympiabefürworter machen können? An diesem Tag sind die Münchnerinnen und Münchner aufgerufen, bei einem Bürgerentscheid darüber abzustimmen, ob die Stadt mit dem vorgestellten Konzept ins Rennen um den nationalen Vorentscheid gehen soll. Ein klares Ja zu Olympia würde Münchens Chancen erheblich erhöhen, ist sich Brem sicher.
Und er wird wohl bis zum Abstimmungstag nicht müde werden, all jenen Kritikern, die befürchten, dass am Ende das Milliardenunternehmen IOC diktatorisch bestimmen werde, wie die Spiele in München auszusehen haben, entgegenzuhalten, dass es durchaus möglich sei, mit den Ober-Oympiern zu verhandeln. Auch die Vertreter der Internationalen Sportverbände, deren Europameisterschaften 2022 in München stattgefunden haben, seien nicht „per se nett“ gewesen und doch habe er mit ihnen das Beste für München herausverhandelt. 130 Millionen Euro Etat habe er damals gehabt und ihn nicht überschritten. Derart sinnvolles Wirtschaften sei auch bei Olympischen Spielen möglich.
Dass der Betrag im Vergleich zu den 4,4 Milliarden Euro Organisationskosten für die Spiele in Paris fast schon mickrig wirkt, wird er wissen. Und als Burgkardt noch einmal einwarf, dass das ohnehin schnell wachsende München wahrlich kein durch Olympia befeuertes Wirtschaftswachstum brauche, vielmehr aber ein soziales, blieb Brem im Kampfmodus für Olympia. Die Spiele könnten eben helfen, das Wachstum zu beherrschen, das auf München ohnehin zukommt. 1,6 Millionen Einwohner zählte München Ende 2024. In einer kürzlich vorgestellten Prognose der Landeshauptstadt rechnet man mit einem Anstieg der Bevölkerung bis 2045 um 226.000 Menschen auf über 1,8 Millionen.
Es wird also ohnehin entwickelt, verdichtet und versiegelt werden müssen. Der Geruch frisch gegossenen Betons wird noch sehr lange über der Stadt liegen – ganz egal, ob nun die Olympischen Spiele nach München kommen werden oder nicht.
30 Jun 2025
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