taz.de -- Neue Entwicklungsministerin fordert: „Mehr Fokussierung“
Reem Alabali-Radovan will die Entwicklungspolitik neu aufstellen. Sie betont Sicherheit und Migration. Feminismus und Klimawandel erwähnt sie nicht.
Berlin taz | Es brauche ein Entwicklungsministerium in Deutschland, das machte die [1][neue Entwicklungsministerin Reem Alabali-Radovan] (SPD) bei ihrer Antrittsrede am Mittwochabend deutlich. Denn das Ressort habe strategische Bedeutung bei der aktuellen Schwerpunktsetzung der Regierung in Sachen Sicherheit und Migration. Sie betonte aber auch, dass Deutschland Verantwortung in der Welt habe.
„Noch nie standen die Entwicklungspolitik und die gesamte internationale Zusammenarbeit so sehr unter Druck wie heute“, sagte Alabali-Radovan. Schon bei der Amtsübergabe vergangene Woche hatte sie ihrer Vorgängerin Svenja Schulze (beide SPD) dafür gedankt, dass sie das Bundesentwicklungsministerium (BMZ) in den Koalitionsverhandlungen gerettet habe. [2][Unionspolitiker hatten dessen Auflösung gefordert].
Harte Verhandlungen über weitere Kürzungen beim Entwicklungsetat stehen bevor, wenn der neue Bundeshalt abgesteckt wird. Schon in den letzten Jahren gab es massive Einstreichungen. Alabali-Radovan betonte, dass die Entwicklungspolitik neu aufgestellt werden müsse. Für sie heiße das: „vor allem mehr Fokussierung“. Wie diese im Detail aussehen wird, ließ sie in der achtminütigen Rede aber noch offen.
Schwerpunkt Sicherheit und Migrationspolitik
Auch bei ihrer ersten Rede bei der Amtsübergabe im Bundesentwicklungsministerium deutete sie an, dass es Einstriche geben werde. Sie werde „das vielfältige Portfolio des BMZ unter die Lupe nehmen, um Kurs zu halten“, erklärte Alabali-Radovan.
Im Bundestag hob die Sozialdemokratin die Bedeutung von Entwicklungspolitik für die deutsche Sicherheit hervor. Es müsse einen strategischen Dreiklang von Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik geben. Entwicklungspolitik leiste dabei einen Beitrag für Stabilität und Frieden in der Welt.
Auch in Sachen Migration blieb sie auf der Linie des Koalitionsvertrags. „Entwicklungspolitik ist ein unverzichtbarer Teil deutscher Migrationspolitik“, sagt sie. „Sie bekämpft die Gründe, aus denen Menschen ihre Heimat verlassen müssen, sie bietet ihnen neue Perspektiven“. Deutschland müsse Aufnahmeländer bei der Versorgung und Integration von Flüchtlingen unterstützen.
Auffällig ist, dass Alabali-Radovan den starken wirtschaftlichen Nutzen von Entwicklungspolitik für Deutschland nicht erwähnte, der im Koalitionsvertrag hervorgehoben wird. Rohstoffsicherung, Energiepartnerschaften oder Förderung deutscher Unternehmen in Auslandsgeschäften ließ sie aus.
Alabali-Radovan: „Es muss dringend Hilfe an die Zivilbevölkerung nach Gaza“
Ebenso fand der Schwerpunkt ihrer Vorgängerin Svenja Schulze, eine feministische Entwicklungspolitik zu machen, keine Erwähnung. Und auch den Klimawandel und Deutschlands Verantwortungen in der internationalen Klimafinanzierung benannte Alabali-Radovan nicht.
Alabali-Radovan hob die Wichtigkeit eines stabilen, multilaterale Systems für die Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen hervor. Sie will die Vereinten Nationen stärken sowie deren Vertretung in Deutschland. Derzeit sind rund 20 UN-Organisationen mit Büros in Bonn vertreten. Außerdem soll eine neue Nord-Süd-Kommission geschaffen werden, die Beziehungen mit Ländern des Globalen Südens ausbauen soll.
Alabali-Radovan nutzte ihre Redezeit gleich zu Beginn auch, um auf das Leid in Nahost hinzuweisen. „Die Geiseln müssen endlich alle freigelassen werden. Und es muss jetzt ganz dringend Hilfe an die Zivilbevölkerung nach Gaza.“ Angesichts der akuten Hungersnot zähle jede Sekunde, unterstrich sie.
Claudia Roth: „Entwicklungspolitik darf nicht instrumentalisiert werden“
Im Anschluss an die Rede der neuen Entwicklungsministerin reagierten Fachpolitiker*innen der anderen Parteien. Zuspruch kam erwartungsgemäß von der eigenen Partei und dem Koalitionspartner. Unionspolitiker Andreas Jung betonte erwartungsgemäß einen wirtschaftlichen Fokus von Entwicklungspolitik, in Sachen Wasserstoffpartnerschaften oder Zugang zu Rohstoffen.
AfD-Politiker Markus Frohnmeier kritisierte, dass zu viel Geld für Entwicklungspolitik ausgegeben werde, stattdessen müsse es heißen „Deutschland zuerst“. Er forderte die Abschaffung des Ministeriums.
Claudia Roth von den Grünen erinnerte an das 0,7-Prozent-Ziel, dem auch Deutschland sich verpflichtet hat. Demnach will Deutschland jährlich 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit ausgeben. Das Ziel wurde zum ersten Mal nicht im Koalitionsvertrag erwähnt. „Dieses Ziel wurde hart erkämpft und nun inmitten dieser globalen Krisen wird ausgerechnet hier und bei den Vereinten Nationen drastisch gekürzt“, kritisierte Roth.
Die Grünenpolitikerin mahnte außerdem, dass „Entwicklungspolitik nicht instrumentalisiert werden“ dürfe, „schon gar nicht für migrationspolitische Abschottungsphantasien“. Weiterhin betonte sie die Bedeutung feministischer Entwicklungspolitik. In Richtung Regierung fragte sie „Was sind denn ihre Werte noch wert, wenn sie das Lieferkettengesetz zertrümmern?“
Die geplante Abschaffung des Lieferkettengesetzes kritisierte auch Charlotte Antonia Neuhäuser, die für die Linken zum ersten Mal im Bundestag sitzt. Sie verwies auf die „zerstörerische Logik des globalen Kapitalismus“. Besonders die schwächsten im Globalen Süden bezahlen „durch Armut, Hunger und Vertreibung für unseren Wohlstand“. Unfaire Handelsabkommen und Kriege um Rohstoffe, Märkte und Einflusszonen werden im Interesse kapitalistischer Macht geführt, sagte Neuhäuser.
Dass die sich deutsche Entwicklungspolitik immer mehr auf „geopolitische Sicherheitsinteressen und die Festung Europa ausrichtet“, lehnen wir ab, stellte Neuhäuser bei ihrer ersten Rede im Bundestag klar.
16 May 2025
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Bis 2026 will Berlin über zwei Milliarden Euro bei humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit streichen: Das trifft vor allem die UN und NGOs.
Welthungerhilfe und Terre des Hommes fordern mehr Geld für Entwicklungszusammenarbeit. Kürzungen könnten böse Folgen haben.
Kurz vor dem G7-Gipfel in Kanada warnt Oxfam: Die wirtschaftsstärksten Staaten planten die größten Streichungen von Entwicklungsetats seit 50 Jahren.
Athen sträubt sich, „Sekundärmigranten“ aus Deutschland zurückzunehmen. Berlin kontert, das BAMF wolle wieder Rückführungen nach Griechenland.
Nachhaltigkeitsforscherin Anna-Katharina Hornidge warnt vor einer Kürzung von Entwicklungsmitteln. Den Erhalt des BMZ begrüßt sie.
Mehrere ehemalige Unions-Amtsträger sprechen sich gegen die Kürzung von Entwicklungsgeldern aus. Organisationen warnen vor humanitären Folgen.
Entwicklungspolitik steht unter Druck – doch sie im Kapitalismus abzuschaffen, entfernt nur das Trostpflaster, sagt Entwicklungsforscher Aram Ziai.