taz.de -- Neue Afrikapolitik der Bundesregierung: Angekommen in der „multipolaren Welt“
Kurz vor der Bundestagswahl stellt die Bundesregierung neue „afrikapolitische Leitlinien“ vor. Darin löst „gegenseitiger Respekt“ Forderungskataloge ab.
Berlin taz | Es ist nicht selbstverständlich, dass Afrika in globalen Konflikten auf der Seite des Westens steht: vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis hat die deutsche Bundesregierung am Mittwoch [1][neue „afrikapolitische Leitlinien“] verabschiedet.
Das im Auswärtigen Amt erarbeitete Dokument „Gemeinsam Partnerschaften gestalten in einer Welt im Wandel“ löst die [2][Leitlinien aus dem Jahr 2014] ab, die 2019 unter dem Titel [3][„Eine vertiefte Partnerschaft mit Afrika“] überarbeitet worden waren.
Während 2014 Afrika noch als „Kontinent der Zukunft und der Chancen“ bezeichnet worden war und 2019 vor dem Hintergrund des Mali-Einsatzes der Bundeswehr sicherheitspolitische Zusammenarbeit im Vordergrund stand, werden diese beiden Zugänge heute vor der konstatierten Schwächung des „globalen Westens“ sanft beiseitegeschoben.
Afrika „entwickelt sich immer mehr zu einem Gravitationszentrum in einer multipolaren Welt“, heißt es einleitend. Deutschland will mit afrikanischen Partnern gemeinsame Interessen definieren und gemeinsam „globale Herausforderungen“ meistern, auf der Grundlage von „gegenseitigem Respekt“.
Afrikanische Konflikte sind nicht mehr so wichtig
Genannt werden die „Dreifachkrise aus Klimawandel, Biodiversitätsverlust und Umweltverschmutzung“, die „Sicherung globaler Ernährungs- und Energiesicherheit“, der „Schutz des globalen Wasserkreislaufs“, der „Kampf gegen Pandemien“, das „kluge Management der fortschreitenden Urbanisierung“ und auch zum Beispiel die Reform globaler Governance-Strukturen, der Umgang mit künstlicher Intelligenz und „die Gestaltung von legaler und die wirksame Reduzierung irregulärer Migration sowie die Bekämpfung ihrer Ursachen“.
Letzteres schließt „Prävention und Bewältigung von Konflikten“ ein, was früher ein zentrales eigenständiges Thema war. Ebenso genannt wird wirtschaftliche Zusammenarbeit auf der Grundlage der Initiativen von G20, G7 und EU.
Die innere Verfasstheit afrikanischer Staaten, Demokratie und Menschenrechte nehmen hingegen einen nachgeordneten Rang ein, heißt es. Beim gemeinsamen Handeln mit afrikanischen Partnern „werden wir auch mit Staaten kooperieren, mit denen wir Werte nicht in vollem Umfang teilen“, heißt es; „autokratischen Tendenzen begegnen wir mit offenem, kritischem Dialog“.
Koloniale Aufarbeitung wird zentraler
Erstmals wird die kritische Aufarbeitung der deutschen Kolonialvergangenheit in Afrika ausdrücklich als „wichtiges Element für ein zukunftsgerichtetes Miteinander“ betont. 2014 kam das Thema noch gar nicht vor, 2019 nur in einem Nebensatz.
Jetzt erklärt die Bundesregierung sogar explizit: „Die Aussöhnung mit Namibia nach dem Völkermord an den Nama und Herero zu Beginn des 20. Jahrhunderts ist eine Priorität.“ Namibia ist das einzige Land, das namentlich in dem Papier vorkommt, und die umstandslose Anerkennung des Völkermordes in diesem Satz ist ebenfalls bahnbrechend.
Die Leitlinien hätten eigentlich schon 2024 fertig sein sollen. Das SPD-geführte Bundesentwicklungsministerium hatte bereits Anfang 2023 [4][eine eigene Afrikastrategie „Gemeinsam mit Afrika Zukunft gestalten“] veröffentlicht, die bereits vieles vorwegnimmt, was jetzt das grüngeführte Auswärtige Amt vorgelegt hat. Es ist kein Geheimnis, dass es in der zerstrittenen Ampelkoalition unterschiedliche Sichtweisen etwa zu Militäreinsätzen in Afrika und zur globalen Energiepolitik gegeben hat.
8 Jan 2025
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