taz.de -- Musiker über USA nach Trumps Wahlsieg: „Es ist nicht die Zeit für Schulterzucken“

Der New Yorker Künstler David Grubbs über die Heuchelei der Libertären, Elon Musks Aufstieg und den evangelikalen Angriff aufs Bildungssystem.
Bild: Eine Demonstration für das Recht auf Abtreibung vor dem Sitz der rechtsextremen Heritage Foundation in Washington, 9.11.2024

taz: Wenn führende US-Neurowissenschaftler:Innen dereinst das Gehirn von Donald Trump untersuchen, was werden sie herausfinden?

David Grubbs: Kurz nach der Wahl machte [1][ein Zitat von Quincy Jones] die Runde. Er kannte Trump persönlich und hatte ihn als extrem narzisstisch veranlagten Egoisten in unguter Erinnerung. Jones bescheinigte Trump beschränkte geistige Fähigkeiten.

taz: In der US-Geschichte suchten jene, die ein zweites Mal ins Oval Office kamen, stets den Ausgleich. Trump dagegen setzt auf Hardliner im Kabinett und klare Kante. Ist die US-Gesellschaft besser auf ihn vorbereitet als 2016?

Grubbs: Das glaube ich nicht. 2016 verfielen viele Bürger:Innen, so auch ich, in Schockstarre. Diesmal ist mein ganzer Körper von nacktem Grauen erfasst. Überrascht war ich höchstens, wie deutlich Trumps Sieg ausfiel. [2][Was die Stimmverteilung angeht, ist die USA weiterhin polarisiert, das spiegelt sich nur nicht im Wahlmännersystem wider, weil es ein Mehrheitswahlrecht ist.] Dass alle sieben Swingstates an Trump fielen, war nicht zu erwarten, genauso wenig, dass er Gewinne bei Jungwähler:Innen erzielt, bei der Latinxcommunity und breiten Bevölkerungsschichten in Großstädten.

taz: Inweit ist die Öffentlichkeit im Bilde über die Politik, die nun droht?

Grubbs: Mir fallen da nur zwei Jungmänner ein, die der TV-Sender CNN nach Stimmabgabe vor dem Wahllokal befragt hatte. Beide deckungsgleich hip tätowiert. Beide bekundeten im Wortlaut, sie hätten Trump die Stimme wegen der hohen Inflation gegeben. [3][Desinformation ist in der Bevölkerung weit verbreitet.] Soweit ich weiß, hat Trump noch gar keine Maßnahmen gegen Inflation verkündet. Einzig zur Einführung von Strafzöllen auf Importwaren hat er sich bekannt. Strafzölle werden Preise auf Importe und die Lebenshaltungskosten eher noch erhöhen. Kurz vor der Wahl wurde ein Offener Brief von 300 Ökonomen veröffentlicht, in dem sie ausdrücklich vor den Folgen der Einführung von Strafzöllen warnen.

taz: Dass Trump die Klimakrise nicht ernst nimmt, wissen wir. Dringen die Fakten im Alltagsleben durch?

Grubbs: Wenn, dann taucht das Thema eher unsystematisch in den Nachrichten auf: Wieder fegt ein Hurrikan übers Land. In Trumps zweiter Amtszeit wird es schwieriger sein, an verlässliche Informationen über Wetterphänomene zu kommen. Klimaforschung ist stark politisiert. Dadurch wird objektive Berichterstattung schwierig, denn die Medienlandschaft ist fragmentiert. Umso wichtiger ist es, dass Bürger:Innen aufgeklärt werden, um sich besser wappnen zu können.

taz: Mir ist ein Zitat Ihres Musikerkollegen Chris Brokaw in Erinnerung geblieben. Am Wahlsieg von Trump erkenne er auch die Geografie, liberale Gegenden an den Küsten und in einigen Großstädten und Collegetowns. Der Rest Fly-Over-Country, wo es auch früher nur wenige Außenseiter gab.

Grubbs: Es wäre ein Fehler, weite Landesteile komplett abzuschreiben. Wir kommen in dieser fatalen Situation nur weiter mit konstruktivem Engagement. Ich bin in Kentucky aufgewachsen, wo es seit Langem eine absolute republikanische Mehrheit in der Landesregierung gibt. Wir sollten endlich anerkennen, was mein Freund, der public intellectual Raúl Ramos, nach der Wahl postuliert hat: „Welcome to Texas!“ Ramos unterrichtet in Houston mexikanisch-amerikanische Geschichte, Grenzwissenschaften, und ist gefragter Experte für Einwanderungsfragen. Seit Längerem hat er darauf hingewiesen, dass der konservative Wandel von einzelnen Bundesstaaten im Süden aus quer über die ganze Nation wandert.

taz: Wird Bildung jetzt bevorzugter Austragungsort für Kulturkämpfe?

Grubbs: Wie Sie wissen, unterrichte ich Musikwissenschaft an der City University New York (CUNY), einer staatlichen Bildungsinstitution. CUNY ist mit ihren 400.000 Studierenden eine Keimzelle von sozialem Wandel. Öffentlich geförderte Unis und Colleges sehen sich Gegenwind ausgesetzt.

taz: Warum?

Grubbs: Es gibt eine längere Vorgeschichte beim Thema Bildungspolitik. So wurden in Florida, Texas und einigen Bundesstaaten im Süden bereits Gesetze eingeführt, die finanzielle Anreize für mittellose Eltern schaffen, damit diese ihre Kinder bei Privatschulen anmelden, vor allem bei Religionsschulen. Ein Einfallstor von Evangelikalen, das zu Lasten der Budgets von öffentlichen Schulen geht. Ich habe ein Auge für Neologismen der extremen Rechten entwickelt. Sie sprechen bei öffentlichen Schulen nur von „Regierungsschulen“. George Orwell lässt grüßen.

taz: War diese Wahl wirklich eine Abstimmung zwischen dem libertären Donald Trump und der freiheitsliebenden Kamala Harris, wie von manchen prognostiziert?

Grubbs: Über Trump und seinem schwerreichen Adlatus Elon Musk schwebt, bei aller libertärer Rhetorik, eine dicke Wolke Heuchelei. Allein Musk, der bei X zig User:Innen-Accounts wieder hergestellt hat, von Leuten, die vorher gesperrt waren. Dann wurde „cis-gender“ zum Flag-Begriff. Angeblich findet keine Zensur bei X statt, bis sie selbst damit begonnen haben. Das Gleiche werden wir sehen, sobald Trump die Amtsgeschäfte übernimmt. Zu Kamala Harris und ihrer Freiheitsliebe Folgendes: Für die Kürze ihres Wahlkampfs hat sie sich achtbar geschlagen, die Kampagne war gut. Es sollte nicht unterschätzt werden, wie sehr Mysogynie und Rassismus Teil des republikanischen Wahlkampfs waren und nun das grauenhafte Bild der USA in der Welt prägen werden. Eine Präsidentin als Staatsoberhaupt bleibt somit undenkbar. Sobald Harris die Wahlkampfbühne betrat, bildete sie als schwarze Politikerin maximalen Kontrast zu Trump. Hier die ehemalige Staatsanwältin, dort der altbackene frauenfeindliche Polterer. Die ständigen rassistischen Anfeindungen ignorierte sie einfach. Indem sie drüber stand, verwickelte sie die Republikaner weiter in Widersprüche.

taz: Warum wird Elon Musik nicht als der Räuberbaron charakterisiert, der er ist?

Grubbs: Weil er die öffentliche Aufmerksamkeit beherrscht, so wie Trump die Medien um sich kreisen lässt. Das Klischee besagt, Trump gewinnt immer die Schlagzeilen, so bleibt jenseits vom täglichen Tabubruch kein Platz mehr für rationale Gedanken. Musk weidet im selben Jagdgrund. Vor Kurzem hat er eine Lotterie gestartet, mit Millionengewinn für jene, die eine Petition zum Recht aufs Waffentragen unterschreiben – wie im zweiten Verfassungszusatz garantiert. Musk inszeniert sich als Genie, das sich mit einem seltsamen Alten verbündet hat. Durch seine Erfolgsstory hat er Trump für unpolitische junge Leute attraktiv erscheinen lassen.

taz: Bro-Culture und Manosphere sind aufgeblüht. Reaktionäre Kreise haben moderne Medientechniken für sich zu nutzen gewusst. Auf der anderen Seite gab es keine Volksfront der Progressiven, oder?

Grubbs: Nein. Die Rolle von neuen Medien wurde unterschätzt, auch wenn alle Menschen links des Mainstreams mit einer Wiederwahl Trumps rechnen mussten. Es ist alles viel zu vereinzelt.

taz: Vielleicht noch schwerer wiegt, dass nun Resignation einkehrt.

Grubbs: Es ist jetzt absolut die falsche Zeit, um das Ergebnis schulterzuckend hinzunehmen.

taz: Sie forschen über das Kollektiv in der Kunst. Nun ist ein Kollektiv zwar keine Volksfront, dennoch ist es ein Gegenentwurf zum Solisten.

Grubbs: Was die Musik angeht, Klangerzeugung eignet sich hervorragend für Ko-Autor:Innenschaft, es geht dabei nicht um strikte Arbeitstrennung, sondern um Zusammenarbeit. Dabei fällt leicht, sich von anderen Sounds ermutigen zu lassen und trotzdem bei der Kollektivarbeit bei den Partner:Innen zu intervenieren. Durch kritische Wertschätzung kann besondere Dynamik entstehen.

taz: Was hat Kollektivarbeit mit politischer Organisierung zu tun? Auch Kamala Harris sprach davon, dass die Leute sich besser organisieren müssen.

Grubbs: Die Demokratie ist durch Trump ernsthaft in Gefahr. Dafür stehen die Leute nicht erst jetzt auf. Ersichtlich ist das an den Protesten gegen das Abtreibungsverbot oder gegen Genderbeschränkungen. Auch Einschnitte bei der Bildung haben große Proteste hervorgerufen. [4][Trumps zweite Amtszeit] muss alle links vom Mainstream einen.

16 Nov 2024

LINKS

[1] /US-Produzent-Quincy-Jones-gestorben/!6046579
[2] /US-Journalist-zur-Lage-nach-Trumps-Wahl/!6045316
[3] /Kuenstlerin-und-Aktivistin-ueber-die-USA/!5741483
[4] /Punkikone-Jello-Biafra-ueber-Trump/!6046153

AUTOREN

Julian Weber

TAGS

US-Wahl 2024
Experimentelle Musik
New York
Jazz
Neues Album
wochentaz
Neues Album
Donald Trump
68er
US-Wahl 2024
Fotografie
Avantgarde
Hörbuch

ARTIKEL ZUM THEMA

Porträt Jazzsaxofonistin Ingrid Laubrock: Musikalischer Freigeist statt politisches Chaos

Die in New York lebende Saxofonistin Ingrid Laubrock hat den deutschen Jazzpreis 2025 erhalten. Unerschrocken setzt sie sich gegen Donald Trump ein.

Neues Album von Postrocker David Grubbs: Beim Holzhacken entstanden

„Whistle from Above“, das neue Album von David Grubbs, bietet den Sound des anderen Amerikas. Experimente und Klanggedichte treffen auf Postrock.

Zu Besuch in Fredericksburg: High Noon für Texasdeutsch

Im Herzen von Texas sprechen Menschen seit dem 19. Jahrhundert einen eigenen deutschen Dialekt. Der droht auszusterben. Was geht mit Texasdeutsch verloren?

Dua Saleh über toxische Beziehungen: „Der Angst mit Humor entgegentreten“

Dua Saleh erklärt den Unterschied zwischen Umweltschutz und Umweltgerechtigkeit. Und spricht über Falschbehauptungen und den Bürgerkrieg im Sudan.

Analyse der US-Wahl: Illiberalismus zeigt sein autoritäres Gesicht

Was Donald Trump und Elon Musk an Herrschaft vorschwebt: Keine Regeln zähmen die Mächtigen mehr. Sie planen den blindwütigen Abbau von Regulierungen.

Perspektiven nach Trumps Triumph: Können wir jetzt einpacken?

Der Schock der US-Wahl ist gesellschaftspolitisch noch keineswegs verarbeitet. Was wird sich Trumps disruptiver Politik entgegenhalten lassen?

Wiedersehen mit einer veränderten USA: Breakdowns und Tränen

Rückkehr nach 48 Jahren: Eine alte Schulfreundin unseres Autors lässt „Hamlet“ an einer Universität in Texas spielen und zeigt, was man von den „liberal arts“ lernen kann.

Debatte um einen Rembrandt im Starkregen: Folie, Eimer und Saugmatte

Die Fotografie eines verpackten Rembrandt-Gemäldes in der Berliner Gemäldegalerie sorgt für anhaltende Debatten. Lecken Berlins Museumsdächer?

Duoalbum David Grubbs & Jan St. Werner: Die Wörter abklopfen

Die Musiker David Grubbs und Jan St. Werner erinnern mit ihrem ersten Duo-Album „Translation from Unspecified“ daran, wie zugänglich Avantgarde war.

Historie des Antifaschismus als Hörbuch: Auch formal widerständig

Peter Weiss’ „Ästhetik des Widerstands“ gibt's nun als Hörbuch. Es ist anspruchsvoll und harte Arbeit. Zwei Lesungen helfen weiter.