taz.de -- Neue Musik aus Berlin: Mit Spiel verfugte Zeit
Der Komponist Stefan Goldmann taucht auf „Alluvium“ in die Tiefen der Polyrhythmik ein. Das geht assymetrisch zu und erzeugt reichlich Fliehkraft.
Polyrhythmik interessiert [1][Stefan Goldmann] schon seit einer ganzen Weile. Sein Studio der Audiokommunikation an der TU Berlin schloss der in Berlin geborene Komponist seinerzeit mit einer Arbeit über die auditive Wahrnehmung von Polyrhythmen ab. Auf seinen eigenen Platten geht er dem Phänomen seitdem immer wieder mit ganz unterschiedlichen Mitteln nach.
Sein Doppelalbum „The Grand Hemiola“ von 2011 etwa machte sich die exklusiven Möglichkeiten des Vinylformats zunutze: Beide Platten bestanden aus Endlosrillen, die eine mit Patterns im 4/4-Takt, die andere im 3/4-Takt. Mit zwei Schallplattenspielern kann man diese als Hörer dann eigenhändig zu stets neuen ungeraden Rhythmen kombinieren. Einziger Nachteil daran: Nicht jeder hat zu Hause so viele Abspielgeräte.
Auf „Alluvium“ erkundet Goldmann die Möglichkeiten von „geschichteter Asymmetrie“ direkt innerhalb der einzelnen Stücke. Das Material entstand in Berlin, Istanbul, Sofia und Thessaloniki. Ungerade Metren bilden die Grundlage seiner Patterns, die sich, so Goldmann, in wechselnden Konstellationen zu „multidimensionaler Zeit“ organisieren.
Klingt sehr theoretisch, ergibt aber über die zwölf Nummern der Platte hinweg einen stets locker verfugten, mit reichlich Fliehkraft versehenen Groove, der im einen Stück locker und mit reichlich Luft um die einzelnen Elemente federt, um im nächsten dann erdenschwer hallend seine Energie freizusetzen. Was übrigens ganz im Sinne des Albumtitels ist: Das Alluvium ist das aktuell jüngste der Erdzeitalter.
5 Jul 2024
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Ignaz Schick, Anaïs Tuerlinckx und Joachim Zoepf veröffentlichen mit „Ensemble A“ ein Album, dass von herkömmlichen Formen des Jazz weit entfernt ist.
Großer Alarm: Diese Woche steht im Zeichen von komplexen Beats, ungewöhnlichen Frequenzen und abenteuerlustigem Jazz.
Von gesammelter Stille bis zur geballt-epxlosiven Rummskraft reicht das Spektrum diese Woche, einschließlich sonderbarer Töne auf einem Rittergut.
Zum Auftakt der neuen Reihe „Pleasure Dome“ mit Klassikern des Horror-, Martial-Arts- und Erotikkinos würdigt der Filmrauschpalast Jörg Buttgereit.
Zum 10-jährigen Jubiläum bringt das XJazz!-Festival die Doppel-Vinyl „Entangles Grounds“ heraus. Ein Berlin-Mixtape voll smoother Klänge und Ekstase.
Endlich mal wieder eine ausgewachsene Maxi-Single: Peter Muffin vs Einerbande versammeln zwei Songs samt Remixe. Dub meets Postpunk meets Experiment.
Auf seinem Album „Nattdett“ zelebriert Andrea Taeggi die Vorzüge der elektronischen Musik. Eine Platte, die Hall, Echo und Dynamik verschmelzen lässt.