taz.de -- Gewalt und Proteste in Frankreich: Regierung weist UN-Kritik zurück
Die UNO wirft der französischen Polizei „racial profiling“ vor. Das Außenministerium sieht keinen strukturellen Rassismus. Landesweit wurden Demos verboten.
Paris afp/dpa | Frankreichs Außenministerium hat den vom UN-Ausschuss für die Beseitigung der Rassendiskriminierung (CERD) erhobenen Vorwurf von [1][strukturellem Rassismus bei der Polizei] zurückgewiesen. „Jeglicher Vorwurf des Rassismus oder der systemischen Diskriminierung durch die Ordnungskräfte in Frankreich ist unbegründet“, teilte das Ministerium am Samstag in Paris mit. Die Bekämpfung von Rassismus und allen Formen der Diskriminierung sei eine politische Priorität.
Das Außenministerium betonte auch, dass Frankreich ein Rechtsstaat sei, „der seine internationalen Verpflichtungen und insbesondere das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung respektiert“. Sicherheitskräfte würden in Frankreich „intern, extern und juristisch“ so stark überwacht wie in nur wenigen Ländern. Jegliches „racial profiling“ durch die Polizei sei „in Frankreich verboten“.
Nach dem Tod des 17-jährigen Nahel M. bei einer Polizeikontrolle in Nanterre hatte ein UN-Ausschuss Frankreich am Freitag aufgefordert, gegen „racial profiling“ durch die Sicherheitsbehörden vorzugehen. Von „racial profiling“ ist die Rede, wenn Menschen wegen äußerer Merkmale von der Polizei kontrolliert werden, etwa wegen ihrer Hautfarbe. Das aus 18 unabhängigen Experten bestehende UN-Komitee zur Beseitigung von Rassismus (Cerd) hatte zudem „exzessive Gewaltanwendung durch die Polizei“ in Frankreich angeprangert und eine „gründliche und unparteiische“ Untersuchung des Falls Nahel M. gefordert.
Proteste und Verbote dagegen
In mehreren französischen Städten sind am Samstag Menschen auf die Straße gegangen. In Straßburg setze sich am Morgen ein Protestzug mit mehreren Hundert Teilnehmern in Bewegung. Die Demonstranten trugen ein Banner mit der Aufschrift „In Trauer und in Wut“. Eine in Marseille geplante Demonstration wurde auf Anordnung der Polizei aus dem Stadtzentrum verlagert.
Ein Tauziehen gab es um einen im Pariser Umland geplanten Marsch im Gedenken an einen 2016 nach einer Verfolgung durch die Polizei gestorbenen jungen Schwarzen. Seine Schwester wollte die in einem Vorort verbotene Protestkundgebung ins Zentrum von Paris verlegen. Am Samstagmorgen untersagte die Polizeipräfektur den Marsch unter Verweis auf die angespannte Lage nach den jüngsten Unruhen. Die Versammlung sei zu spät angemeldet worden, und wegen anderer Kundgebungen stünden auch keine Polizisten zur Begleitung des Marsches zur Verfügung. Dennoch wurde erwartet, dass am Nachmittag Menschen am Place de la République zusammenkommen.
Seit dem [2][Tod des 17-jährigen Nahel bei einer Verkehrskontrolle] vor knapp zwei Wochen wurde Frankreich von schweren Krawallen und Protesten gegen Polizeigewalt erschüttert. Wiederholt kam es zu Plünderungen, Brandanschlägen und gewaltsamen Konfrontationen zwischen Polizisten und Randalierern. Gegen den Beamten, der den tödlichen Schuss auf den Jugendlichen abgab, wird wegen Totschlagsverdacht ermittelt. Inzwischen haben die Unruhen nachgelassen. Die Sorge ist aber, dass sie zum Nationalfeiertag am 14. Juli wieder aufflammen.
8 Jul 2023
LINKS
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Frankreich feiert am 14. Juli seinen Nationalfeiertag. Doch diesmal dominiert die Angst vor neuen Krawallen. Und Präsident Macron hat nichts zu sagen.
Wenn die Gewalt der jungen Menschen in Frankreich sinnlos ist, was wäre dann sinnvolle Gewalt? Wenn die Polizei einen Teenager erschießt?
Die Proteste in Frankreich reagieren auf die Polizei, die einen 17-Jährigen erschoss. Sie sind für Jugendliche der einzige Weg, gehört zu werden.
Der Soziologe Sébastien Roché hält eine Gesetzesänderung von 2017 für eine der Ursachen der Zunahme von Polizeigewalt. Er fordert eine Reform.