taz.de -- Kachowka-Staudamm in der Ukraine: Putins Tschernobyl-Moment
Die Staudammkatastrophe in der Ukraine läutet eine neue Dimension des Krieges ein. Das großflächige Sabotieren ist wohl ein Vorbote des russischen Rückzugs.
Es gibt im russischen Krieg gegen die Ukraine vieles, was die menschliche Vorstellungskraft übersteigt. Aber einige Horrorszenarien sind dazu geeignet, das weltweite Entsetzen über Putins Kriegsführung zu steigern, weil sie katastrophale Auswirkungen weit über das Kriegsgebiet selbst haben können.
Eines ist das Herbeiführen einer Nuklearkatastrophe, wie sie im besetzten [1][AKW Saporischschja] schon mehrfach bedenklich nahe gerückt ist. Ein anderes ist die Auslösung einer Umweltkatastrophe durch die Sprengung eines der vielen Dämme am Dnipro-Fluss.
Nur einer dieser Dämme ist von Russland besetzt, und ausgerechnet dieser geht kaputt. Mit der [2][nächtlichen Explosion des Kachowka-Staudamms] und der sich nun entfaltenden Flutkatastrophe im Süden der Ukraine scheint das Horrorszenario nun einzutreten.
Dass Bundeskanzler Olaf Scholz und andere internationale Politiker dies sofort als „neue Dimension“ des Krieges brandmarkten, lässt auf gesicherte Erkenntnisse über den Hergang schließen. Es ist demnach ein Akt des Staatsterrorismus, für den ein Befehl erteilt worden sein muss.
Jenseits dessen ist es ein Anzeichen dafür, dass Russland mit seiner Niederlage rechnet. Würde Putin an die weitere russische Herrschaft über den Süden der Ukraine glauben, würde er die Region nicht unter Wasser setzen und auch nicht nebenbei die Wasserversorgung der Krim abschneiden. Die großflächige Sabotage ist wohl eher der Vorbote des militärischen Rückzugs. Wie schon oft zeigt sich auch hier: [3][Russland geht es darum, die Ukraine von der Landkarte zu tilgen], entweder durch Besatzung oder einfach durch Zerstörung.
Die Antwort darauf kann nur lauten: Jetzt erst recht. Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen und das Putin-Regime muss verschwinden. Es gibt keinen Weg zurück.
Die Nuklearkatastrophe von Tschernobyl 1986 machte die grenzenlose Verlogenheit und Menschenverachtung des Sowjetsystems deutlich und beschleunigte dessen Ende. Das Staudammverbrechen von Kachowka 2023 sollte für das Putin-System eine ähnliche Wirkung entfalten.
6 Jun 2023
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Trotz Kühlwassermangels ist der Weiterbetrieb des AKWs Saporischschja noch gesichert. Die russische Besatzung ist aber ein Risiko.
Moskau hat erste Atomsprengköpfe nach Belarus geschickt. Das behauptete der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko schon vor einigen Tagen.
Die ukrainische Stadt Cherson steht halb unter Wasser. Vor allem Arme und Ältere wollen ihre Häuser nicht verlassen. Wer es wagt, muss mit Beschuss rechnen.
Die Sprengung des Kachowka-Staudamms fällt zusammen mit dem erwarteten Start der ukrainischen Offensive gegen Russland. Die Folgen sind unabsehbar.
Als Kriegsverbrechen bezeichnet EU-Ratspräsident Michel die Sprengung. Bundeskanzler Scholz spricht von einer neuen Dimension. Die Linke zweifelt.
Vor dem zerstörten Damm am Dnipro staute sich ein 230 Kilometer langer See, viermal größer als der Bodensee. Die Fluten bedrohen Zehntausende.
Nach dem Staudammbruch steigt das Wasser flussabwärts am Dnipro. Das Wasserkraftwerk ist laut Ukraine komplett zerstört. Moskau macht Kyjiw verantwortlich.
Die Ukraine vermeldet Geländegewinne rund um Bachmut. Auch ein russische Feldkommandeur spricht von Erfolgen der ukrainischen Armee im Donbass.