taz.de -- Die neue Regierung in Berlin: Die, die im Weg stehen
Die Berliner SPD und die Letzte Generation haben eins Gemeinsam: das Unverständnis der Massen. In der Folge blockieren beide die Stadt auf ihre Art.
Was haben die Klimaaktivist:innen und die Berliner SPD gemeinsam? Es fehlt ihnen an Rückhalt in der Bevölkerung. Und weil ihnen nichts Besseres einfällt, blockieren sie die Stadt. Jede auf ihre Weise. Das ist aufregend – im Wortsinne.
Die einen regen sich auf über diese klebrigen Aktivisti, die sich frecherweise den Autofahrer:innen in den Weg setzen. Und weil deswegen der eine oder andere Krankenwagen im Stau steht, empören sich lautstark die wohlfeilen Klimapolitikversager bis hoch [1][zu CDU-Generalsekretär Mario Czaja] über „Geiselhaft“ oder [2][gar Bundesjustizminister Marco Buschmann] über „Nötigung“. Dabei sagt [3][selbst die Berliner Feuerwehr], dass es am Montag zwar schlimm war mit dem Verkehr in der Stadt, aber eben auch nicht schlimmer als an anderen Tagen.
Was wirklich das Problem ist, wird deutlich, wenn man die Lage mal extrem zu Ende denkt. Gäbe es an keinem Tag Klimakleber auf den Straßen, stünden die Krankenwagen immer noch im Stau. Gäbe es an einem Tag aber keins dieser den Stau bildenden Autos, käme jeder Rettungseinsatz problemlos an jedes Ziel. Dumm nur, dass die, die da Tag für Tag die Berliner Straßenblockade bilden, nicht sehen, dass sie selber das Problem sind. Und in ihrer Blindheit auch noch von populistischen Meinungsmachern angefeuert werden.
Ganz ähnlich ist die [4][Lage bei der SPD], über die ebenfalls viele stöhnen in Berlin. Die sitzt seit sage und schreibe 34 Jahren in der Berliner Regierung. Mal als Chefin, mal – wie nun wieder – als Beiboot der CDU. Dass die Sozialdemokrat:innen in der Hauptstadt die Opposition stellten, ist länger her als der Mauerfall.
Selbsterkenntnis ist nicht angesagt
Man kann daher zweifelsohne behaupten, dass die SPD an jedem einzelnen Problem der Stadt – und davon hat Berlin bekanntlich viele – zumindest eine Mitschuld trägt.
Doch statt zu erkennen, dass vor allem sie selbst die Mutter aller Probleme ist, schimpft die SPD lieber über die nervigen Grünen und Linken, legt nach einer heftigen Wahlklatsche den Rückwärtsgang ein und versucht es nun in einer Koalition mit der Union – selbst fast die Hälfte ihrer Parteibasis weiß nicht, was daran gut sein soll.
Franziska Giffey ist das egal. Die SPD-Landeschefin sieht sogar eine „klare Mehrheit“ für das schwarz-rote Bündnis. Es ist wie mit den Autofahrer:innen im Stau. Bei Problemverursacher:innen ist Selbsterkenntnis nicht wirklich angesagt.
Die Folge der SPD-Blockade ist fatal. Denn die Rettungswagen, die eine Hauptstadt mit Kontinentalklima in Zeiten des Klimawandels dringend nötig hätte, werden weiter im Stau stehen. Und das liegt nicht an den Aktivist:innen der Letzten Generation.
24 Apr 2023
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Gern fühlen sich einfache Leute von Klimaprotesten zu Unrecht bestraft. Doch vor allem ist es die Klimakrise, die die Falschen trifft.
Sieben von zehn Senator*innen im neuen Berliner Senat sind Frauen. Darunter die Vizepräsidentin des Verfassungsschutzes und eine Baulobbyistin.
Nach der knappen Mehrheit für Schwarz-Rot fordert Juso-Chefin Sinem Taşan-Funke eine „inhaltliche und personelle Erneuerung“ der Berliner SPD.
Aktivist:innen der Letzten Generation blockieren über 30 Orte. Polizei nimmt 200 Menschen fest. Wissenschaftler:innen fordern „Handeln statt Kriminalisieren“.
Eine Mehrheit ist eine Mehrheit: Die SPD-internen KritikerInnen sollten jetzt abwarten, wie Schwarz-Rot unter Kai Wegner (CDU) tatsächlich agiert.
Erfolg für Franziska Giffey: Mit knapper Mehrheit stimmen die SPD-Mitglieder in Berlin dem mit der CDU ausgehandelten Koalitionsvertrag zu.