taz.de -- Debatte um Zustand der Bundeswehr: Lindner gegen neue Wehrpflicht
Verteidigungsminister Pistorius schlägt vor, den Wehrdienst wieder einzuführen. Eine „Gespensterdiskussion“, sagt FDP-Finanzminister Christian Lindner.
Berlin dpa | FDP-Chef Christian Lindner hat jeder Diskussion um eine Rückkehr zur Wehrpflicht eine Absage erteilt. „Die Wehrpflicht steht für die FDP überhaupt nicht zur Debatte. Das ist eine Gespensterdiskussion. Alle Kraft muss darauf konzentriert werden, die Bundeswehr als hochprofessionelle Armee zu stärken“, sagte Lindner am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur.
Die junge Generation habe durch [1][die Pandemie] zudem „so viel verloren, dass jetzt nicht noch über eine neue Dienstpflicht spekuliert werden sollte“. Lindner verwies auch auf den Fachkräftemangel in allen Bereichen. Er sagte: „Einen ganzen Jahrgang von Ausbildung und Beruf abzuhalten, würde großen Schaden verursachen.“
Zuvor hatte schon die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann für den Fall einer Rückkehr zum Wehrdienst auf weitreichende Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft hingewiesen. Die öffentliche Diskussion um diese Frage verlaufe „teilweise nicht seriös“, sagte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses am Dienstag. Die Verschärfung des Fachkräftemangels sei dabei nur ein Punkt.
„Grundsätzlich gilt das Ende der Dienstpflicht ausschließlich in Friedenszeiten. Im Spannungs- oder Verteidigungsfall kann sie wieder aktiviert werden“, hatte sie der Süddeutschen Zeitung gesagt. Noch vor einem Jahr sei sie strikt dagegen gewesen. Mittlerweile findet Strack-Zimmermann: „Ein einfaches Ja oder Nein ist zu kurz gesprungen.“ Sie verwies auf den erheblichen Aufwand, der bei einer Rückkehr zur Wehrpflicht nötig sei.
Die Linke ist erbost
In der vergangenen Woche hatte [2][der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD)] die Aussetzung der Wehrpflicht durch die schwarz-gelbe Bundesregierung im Jahr 2011 als Fehler bezeichnet.
Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Johannes Vogel schrieb auf Twitter, die Wehrpflicht ließe sich mit Blick auf die Lage nicht rechtfertigen. „Und sie stünde absehbar der Modernisierung unserer Streitkräfte & ihrer Verteidigungsfähigkeit sogar im Weg“, fügte Vogel hinzu.
Die Linke kritisierte die Diskussionen um die Wehrpflicht. „Es vergeht kein Tag, an dem sich nicht irgendein Vertreter von SPD, FDP, Grünen oder Union findet, der mit einem neuen Eskalationsvorschlag um die Ecke kommt: Panzerlieferungen, Kampfjets, jetzt die Wiedereinführung der Wehrpflicht“, sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Linke-Fraktion, Jan Korte. Die Wehrpflicht auszusetzen, sei kein Fehler gewesen, sondern ein zivilisatorischer Fortschritt.
Unterdessen sprach sich der Reservistenverband für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht aus. „Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht zu verteidigen, wenn es denn müsste, wenn wir keine Wehrpflicht haben“, sagte der Verbandspräsident Patrick Sensburg dem TV-Sender Welt. Rund 200.000 Soldaten und 100.000 Reservisten reichten für den Ernstfall nicht aus.
1 Feb 2023
LINKS
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Verteidigungsminister Pistorius denkt über eine neue Wehrpflicht für Männer und Frauen nach. Doch er muss mit hohen rechtlichen Hürden rechnen.
Laut dem neuen Verteidigungsminister sei die Diskussion um eine mögliche Dienstpflicht „wertvoll“. Es sei wichtig, junge Menschen zum Thema zu hören.
Berlin ist für die FDP die fünfte Landtags-Wahlniederlage in Folge. Trotzdem sieht Parteichef Christian Lindner keinen Anlass zur Kurskorrektur.
Ein Bericht des Verteidigungsministeriums erklärt, warum bei einer Übung 18 Puma-Schützenpanzer ausfielen. An der Schwere der Störungen lag es nicht.
Friedensforscher Michael Brzoska kennt die Fallstricke von Boris Pistorius' schwierigem Amt. Unter anderem plädiert er dafür, mehr „von der Stange“ zu kaufen.
Fast 1.800 Minderjährige sind 2022 von der Bundeswehr rekrutiert worden. Das Kinderhilfswerk terre des hommes nennt dies ein „Armutszeugnis“ für die Bundesregierung.