taz.de -- Zum Tod von Javier Marías: Lohnend erzählen

Die Weltliteratur im Rücken: Der spanische Schriftsteller Javier Marías ist mit 70 Jahren an einer Covidinfektion gestorben.
Bild: Javier Marias, 2012

Nein, sein Herz war nicht weiß. Javier Marías konnte in seinen Zeitungskolumnen heftig austeilen, gegen aktuelle Missstände in seinem Herzens-Fußballverein Real Madrid sowieso, aber auch gegen die übrige Gegenwart Spaniens und überhaupt. Die Digitalisierung, den Tourismus, viele Politiker und auch ungenaue Sprache hat er gehasst. Fotos aus seinem Arbeitszimmer zeigen ihn gern vor einer mächtigen Bücherwand.

So hat er geschrieben, bis zum Schluss auf einer Schreibmaschine, mit der Weltliteratur im Rücken – [1][Nabokov], Sterne, [2][Conrad] hat er ins Spanische übersetzt, Proust und Cervantes waren für ihn lebendige Dialogpartner, viele seiner Romane tragen Shakespeare-Zitate im Titel – und mit der Unabhängigkeit, die ihm seine weltweiten Millionenauflagen bescherte.

Aus diesem Abstand heraus hat er seine Figuren begleitet und in langen Sätzen, mit vielen Exkursen und bohrenden Gedankenbögen ihre Lebenslügen und Geheimnisse umkreist. „Alle haben wir es unsäglich satt, der zu sein, der wir sind und der wir gewesen sind“, heißt es bei ihm einmal. Dem, was das bedeutet, hat er in 16 Romanen nachgespürt.

Der Erzähler des Romans „Mein Herz so weiß“, mit dem er auch in Deutschland bekannt wurde, ist ein Dolmetscher, der sich damit schwer tut, die Handlungen anderer Personen – mit einem Suizid setzt das Buch ein – für sich selbst zu übersetzen. „Alles lässt sich erzählen, selbst das, was man nicht wissen will und nicht fragt und das doch gesagt wird, und man hört zu“, heißt es darin gegen Schluss.

Zugleich erzählte Javier Marías auch immer davon, wie kompliziert es ist, Bewusstseinsvorgänge nachzuvollziehen – und wie lohnend das doch sein kann, selbst wenn man damit nie an ein Ende kommt. Am Sonntag ist Javier Marías nach einer Covidinfektion 70-jährig in Madrid gestorben.

12 Sep 2022

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Dirk Knipphals

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