taz.de -- Ausstellungen über Michel Majerus: Rückblick auf ein junges Genie
Problemlos zwischen Hoch- und Popkultur changiert: Vor 20 Jahren ist Michel Majerus gestorben. Auch Häuser im Norden würdigen den Maler und Bildhauer.
Wolfsburg taz | [1][„What looks good today may not look good tomorrow“] heißt eine gut zehn Quadratmeter große Malerei von Michel Majerus. Im Jahr 1999 verfertigt befindet sich das Kolossalformat seit 2000 im Besitz des Kunstmuseums Wolfsburg.
Die ungeschönte Einschätzung unserer aktuellen Wahrnehmungsökonomie wird bildnerisch getragen von sechs farbigen Blasen, gar nicht mal besonders ausgetüftelt auf dem Malgrund arrangiert, recht lässig ausgeführt. In der letzten schwarzen Blase, unten rechts, wird noch bekräftigend, nun hochkant geschrieben, hinzugefügt: „Now is the time.“
So wie dieses malerische Statement hat auch der gebürtige Luxemburger Majerus – geboren 1967, verstorben 2002 – selbst gelebt und gearbeitet: schnell, auf der Höhe der Zeit, problemlos zwischen Hochkunst und Popästhetik operierend. Zwischen analog und digital, zwischen teils gigantisch dimensionierter Flachware und nicht minder großer Rauminstallation schien er alle Medien und Techniken zu beherrschen, und das dann auch noch in einer ganz eigenen Kombinatorik.
Rasch umgab Majerus der Nimbus eines jungen neuen Genies. Während seines Studiums ab Ende der 1980er-Jahre an der Kunstakademie Stuttgart hatte er sein Handwerkszeug bei so unterschiedlichen Temperamenten erlernt wie dem Maler K.R.H. Sonderborg und ab 1991 bei dessen Nachfolger, Joseph Kosuth.
Sinnbild unwürdiger Lebensverhältnisse
Von Sonderborg, der sich selbst jeglicher kunsthistorischer Verortung verweigerte aber einem spontanen Informel zugerechnet wird, nahm Majerus die expressive, gestische Malweise mit. Von Kosuth, dem prominenten US-amerikanischen Vertreter der Konzeptkunst, die Idee der Kunst als geistiger Auseinandersetzung.
Mit gerade mal 28 Jahren bestritt Majerus seine erste institutionelle Einzelausstellung, und das gleich in der Kunsthalle Basel. Es folgten prominente Einladungen, etwa 1999 zur Biennale Venedig, wo er sich die Fassade des italienischen Pavillons vornahm. Oder ein Jahr später in den Kölnischen Kunstverein: Seine dort inszenierte bunte Halfpipe, auch zur Benutzung durch Skater freigegeben, wurde mit ihren 455 Quadratmetern seine größte Arbeit. 2002 verhüllte er die Ostseite des Brandenburger Tors mit dem Bild eines 12-geschossigen Westberliner Sozialbaus; für Majerus das Sinnbild unwürdiger Lebensverhältnisse.
Sein früher Tod durch einen Flugzeugabsturz im November 2002 ließ Majerus endgültig in die Verklärung der Kunstwelt entschwinden. Befördert wurde das sicherlich auch durch seine immense Produktivität: Majerus soll in seinen 35 Lebensjahren, nach dem Studium pendelnd zwischen Berlin und Los Angeles, 1.500 Arbeiten geschaffen haben.
Aus Anlass des 20. Todesjahres haben sich gleich 13 deutsche Museen zusammengetan, um ihn durch Präsentationen aus ihren Sammlungsbeständen zu ehren. Für Norddeutschland beginnt das Sprengel Museum und zeigt die zweiteilig monumentale, 14 Quadratmeter große Arbeit „Maßnahme“ von 1992, dazu zehn kleinere: collageartige, farbenfrohe Siebdrucke auf glänzenden Folien – aber auch manch Düsteres. Das Kunstmuseum Wolfsburg öffnet demnächst ebenfalls seinen Fundus, dann ist dort – in der [2][Sammlungsausstellung „Blow Up!“]– das erwähnte Bild „What looks good today may not look good tomorrow“ zu sehen.
Parallel gibt es noch fünf umfangreichere Einzelausstellungen. So will etwa der Kunstverein in Hamburg über den Jahreswechsel die digitalen, vielleicht ja Pionierprojekte Michel Majerus’ im Kontext heutiger Kunst neu befragen.
10 Sep 2022
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