taz.de -- Neue Musik aus Berlin: Sinustöne von der Flöte
Einst auf Ondiolinen improvisiert: Stefan Goldmann und Jeremias Schwarzer bieten mit „Sfera“ eine eletronische Erweiterung der Musik Giacinto Scelsis.
Giacinto Scelsi war ein seltsamer Komponist. Aus altem sizilianischen Adel musste er sich nicht mit lästigen Dingen wie Broterwerb plagen, sondern konnte sich, die meiste Zeit seines Lebens fern der Öffentlichkeit und ihrer Meinungen, ganz seiner Musik widmen.
Statt auf Notenpapier zu schreiben, improvisierte er am Klavier oder seinen Ondiolinen, frühen elektronischen Instrumenten, die ein wenig wie Heizstrahler aussehen und in seinem Haus in Rom noch heute zu besichtigen sind. Die Improvisationen nahm er auf Band auf und schickte sie an Ghostwriter, andere Komponisten, die daraus notierte Werke machten.
Der [1][Berliner Technoproduzent und Komponist] Stefan Goldmann kombiniert auf seinem Album „Sfera“ die Musik Scelsis mit eigenen Stücken. Dabei spielt der Flötist Jeremias Schwarzer Kompositionen Scelsis für Soloinstrumente, vom Interpreten selbst für verschiedene Flöten arrangiert. Goldmanns Musik ist fast ausschließlich elektronisch, lediglich in „baïr“ kommen Flötenklänge hinzu.
Die Kombination mag verwundern, doch „Sfera“ erinnert an die teilelektronische Herkunft der Musik Scelsis: Goldmanns Stücke klingen gegen die freien Melodien Scelsis abstrakter und dichter, sorgen für einen Kontrast, der einerseits auf Scelsis Ondiolas verweist.
Die Flötenklänge erinnern andererseits an Sinustöne. Und der Titel? „Sfera“ knüpft an das östlich inspirierte Symbol Scelsis an, eine Linie, darüber ein Kreis. Der sich so wieder schließt.
29 Jan 2022
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Die neue Echtzeit-Platte von The International Nothing lässt Klarinetten, Atemtöne und Pusten erklingen und das in einer einzigen langen Komposition.
Das Debüt des Apregarde Dub Orchestra „gotland wenig ändernd“ ist dunkles Rauschen und Raunen: Voll von Loops und Perkussion, Stimmsamples und Echos.
Vorzüge des Radios, Neues von der Orgel, Musiktheater mit Robotern und Jazzforschung von Training sind diese Woche in Berlin zu erleben.
Es raschelt, knackt und heult: Auf ihrem neuen Album „Moult“ tastet sich Clara Iannotta erneut an die Grenzen von Geräusch und Komposition vor.