taz.de -- Zum Tod von Petr Uhl: Elder Statesman des linken Untergrunds
Der tschechische Ex-Dissident gehörte zu den bedeutendsten Persönlichkeiten des Widerstands gegen die Herrschaft der Kommunisten.
Prag taz | Es muss irgendwann in der Nacht zum 17. November 1989 gewesen sein, dass Petr Uhl eine [1][Falschmeldung] verbreitete, die den Lauf der Geschichte beschleunigen und nachhaltige Folgen haben sollte.
Am Abend zuvor hatten die weißbehelmten Sturmtruppen eines sich gerade auflösenden politischen Systems in der Prager Nationalstraße eine Studentendemonstration niedergeknüppelt. Auf der entgegengesetzten Seite des [2][Wenzelsplatzes], gleich hinter dem Nationalmuseum, betrieb Petr Uhl in seiner Wohnung die Osteuropäische Nachrichtenagentur (VIA).
Diese versorgte auch westliche Nachrichtensender mit Informationen aus der Tschechoslowakei, wo die Revolution bis zu diesem Zeitpunkt nur schleppend voran geschritten war. Erst als sich die Nachricht verbreitete, der Student Martin Šmíd sei zu Tode geprügelt worden, erhielt die Samtene Revolution die Dynamik, die es brauchte, um das Regime hinwegzufegen.
Das betraf nicht nur die alten Machthaber, wie es die tschechoslowakische Staatssicherheit geplant hatte, als sie die Desinformation vom toten Studenten Martin Šmíd produzierte. Als es endlich soweit war und die Wende in der Tschechoslowakei mit der Ernennung Václav Havels zum Präsidenten ihren Höhepunkt fand, saß Petr Uhl wegen Verbreitung von Falschinformationen in Haft. Als er Anfang 1990 im Zuge der Generalamnestie seines alten Mitstreiters Havel auf freien Fuß kam, wurde er zum Chef der tschechoslowakischen Nachrichtenagentur ČTK ernannt.
Arbeit als Heizer
Petr Uhl gilt als ein Gründer des tschechoslowakischen Dissens: Schon kurz nach der Niederschlagung [3][des Prager Frühlings], im Dezember 1968, sagte der 27-jährige Ingenieur der beginnenden Normalisierung von links unten den Kampf an und gründete die „Bewegung der revolutionären Jugend“. Ein Jahr darauf wurde er festgenommen und zu vier Jahren Haft verurteilt. Weitere fünf sollten bis 1989 folgen. Die Charta 77 hatte er als einer ihrer Initiatoren im Dezember 1976 unterzeichnet. Dafür bekamen er und seine Mitstreiter Václav Benda, Václav Havel und Jiří Dienstbier 1979 fünf Jahre Haft.
Dabei war es ihm wichtig, als Gewissenshäftling zu gelten, nicht als politischer Gefangener. Nach seiner Entlassung arbeitete er als Heizer, gründete den „Ausschuss für ungerecht Verfolgte“, die Osteuropäische Nachrichtenagentur und blieb eine der wichtigsten Personen im tschechischen Untergrund.
Nach der Wende waren es weniger die Ämter, die er nach der Samtenen Revolution einnahm, wie Regierungsbevollmächtigter für Menschenrechte, die Uhls gesellschaftliche Rolle definierten. Er war eher der Elder Statesman des tschechischen Undergrounds. Ein Mahner, der, dank seines Hangs zur Pedanterie und seines guten Gedächtnisses, auch nerven konnte.
Zum Beispiel als er nach der Teilung Ende 1992 der Tschechoslowakei die slowakische Staatsbürgerschaft annahm – mit der Begründung, die müsse auch im ehemaligen Teilstaat Tschechien gelten. Was wie eine Trotzreaktion aussehen mochte, half konkret vielen slowakischen Roma, die plötzlich als Ausländer in Tschechien galten.
Mit seiner Frau, der Dissidentin Anna Šabatová, hat er Tschechiens Linke nach der Wende mit definiert. Sohn Michal ist Politiker, Tochter Saša eine linke Journalistin, die für ihre Wallraff-inspirierten Reportagen anerkannt ist. Sein Erbe ist in sicherer Hand. Am 1. Dezember ist Uhl nach langer Krankheit im Alter von 80 Jahren in Prag gestorben.
2 Dec 2021
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
In der Fünf-Parteien-Koalition in Tschechien knirscht es gleich zu Beginn. Der Akademiker Petr Fiala muss zwischen EU und Nationalstaat balancieren.
Vor 50 Jahren zündete sich Jan Palach auf dem Wenzelsplatz an. Heute haben in der tschechischen Hauptstadt die Wendehälse das Sagen.
Am 50. Jahrestag des Prager Frühlings machen viele Tschechen ihrem Unmut über den Regierungschef Luft. Denn der war ein Stasi-Spitzel.
Viele jungen Tschechen wissen nicht, was sich hinter dem „Prager Frühling“ verbirgt. An der Staatsspitze tummeln sich indes Mitläufer von damals.