taz.de -- Polens neuer englischer Auslandssender: Gegen die „Feindpropaganda“
Überraschend hat Polen den Sender TVP World gestartet. Erster Interviewpartner war ein AfD-Politiker, der sich über Migration auslassen durfte.
Warschau taz | TVP World heißt Polens neuer englischsprachiger Auslandssender, der überraschend schon diese Woche freigeschaltet wurde. Die Bürger und Bürgerinnen im Ausland sollen erfahren, was „wirklich“ in Polen abgeht – von polnischen Journalist:innen. Auslandskorrespondent:innen werden von den regierenden Nationalpopulisten immer wieder diffamiert, wenn sie kritisch berichten. Gegen diese „Feindpropaganda“ soll nun TVPWorld Abhilfe schaffen. Geplant ist ein 24-Stunden-Sender in mehreren Sprachen, beginnend mit dem englischsprachigen Kanal.
Polen werde die Nato-Staaten auf Basis von Artikel 4 des Nordatlantikpakts zu Konsultationen einberufen, hieß die Hauptnachricht am Donnerstag. Dazu waren Bilder eines „Kampfs“ von „Angreifern“ zu sehen, die am geschlossenen Grenzübergang Kuźnica Steine und Erdklumpen von der [1][belarussischen Seite] auf die polnische schleuderten. Aus weiter Entfernung zeigten dann Luftbilder, wie sich „die Polen“ wehren: Drei Wasserwerfer schlugen bei Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt die „Migranten“ in die Flucht.
Was aus dem Bericht nicht hervorging, hatten zuvor BBC und CNN von der anderen Seite aus berichtet. Flüchtlinge und belarussische Sicherheitskräfte sind leicht auseinanderzuhalten. Die einen tragen graue Kapuzenpullover, die anderen meist mehrere Pullover übereinander und knielange Parkas. TVP World zufolge waren die Angreifer aber „aggressive Migranten“. Frauen und Kinder kamen kaum ins Bild, auch keine Nahaufnahmen von verzweifelten Geflüchteten. Nur ein kilometerlanger Stacheldrahtzaun, hinter dem inzwischen fast 20.000 polnische Sicherheitskräfte stehen, um Polen und die Europäische Union „heldenhaft, pflichtbewusst und patriotisch“ zu verteidigen.
Unabhängige Journalist:innen dürfen schon seit fast drei Monaten nicht mehr von der Grenze berichten. Polens Nationalpopulisten von der PiS-Partei haben entlang der 400 Kilometer langen Grenze eine 3 Kilometer breite Nachrichtensperrzone eingerichtet, aus der nur Bilder und Informationen des Innen- und Verteidigungsministeriums sowie der Geheimdienste an die Öffentlichkeit dringen sollen.
Gesendet werden soll im Stil des Staatssenders TVP Info
Das hat so lange funktioniert, wie auch der belarussische Präsident Lukaschenko keine unabhängigen Journalist:innen an die Grenze ließ. Als dort aber BBC und CNN auftauchten, waren plötzlich Bilder von der Grenze im Umlauf, die die PiS-Politiker bislang als „Feindpropaganda“ diskreditiert hatten.
Genau diese haben Polens Regierung offenbar veranlasst, den Start von TVP World vorzuziehen. Gesendet werden sollen Informationen aus Polen und der Welt im Stil des [2][von der PiS kontrollierten Staatssenders TVP Info].
Der erste Interviewpartner, den sich Hauptmoderator Michał Rachoń in seine TVP-World-Sendung einlud, war der deutsche AFD-Europaabgeordnete Nicolaus Fest. Dieser hatte mit zwei weiteren Autoren einen Bericht zur EU-Migrationspolitik vorgelegt, kritisierte den angeblich hohen Lebensstandard von Flüchtlingen in Deutschland und machte Kanzlerin Merkel für die „Magnetwirkung Deutschlands auf die Armen der ganzen Welt“ verantwortlich.
19 Nov 2021
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Deutschsprachige Kinder in Polen sollen weniger Unterricht in ihrer Muttersprache erhalten. Das soll Druck machen auf die deutsche Bildungspolitik.
In einem Jahr sind Parlamentswahlen in Polen. Vorher soll der letzte unabhängige Fernsehsender auf Regierungslinie gebracht werden.
Das polnische Verfassungsgericht ist kein „Gericht“ im Sinne der Menschenrechtskonvention. So lautet sein Urteil im Sinne der Regierungspartei PiS.
Nach unklaren Aussagen aus Minsk verbreiten sich Gerüchte. Berlin dementiert. Indes entspannt sich die Lage an der belarussisch-polnischen Grenze.
Sie werfen sich Kriegstreiberei und Menschenschmuggel vor. Auch Putin mischt mit. Dazwischen: Hunderte Migranten, isoliert im Niemandsland.
Mit einer zusätzlichen Steuer auf Werbeeinnahmen will die polnische Regierung die Privatmedien unter Druck setzen. Die aber wehren sich.