taz.de -- Belarussischer Oppositioneller: Festnahme nach Notlandung

Ein belarussischer Oppositioneller war auf dem Weg nach Vilnius, als der Flieger in Minsk notlanden musste. Die Opposition spricht von Kidnapping.
Bild: Schauplatz einer staatlich gelenkten Flugzeugentführung? Der Flughafen von Minsk

KIEW taz | Auf dem Flughafen [1][der belarussischen Hauptstadt Minsk] ist am Sonntagnachmittag der oppositionelle Journalist Roman Protasewitsch festgenommen worden. Protasewitsch, der 2019 aus Angst vor einer Verhaftung aus Belarus nach Polen geflohen war, befand sich auf einem Flug von Athen nach Vilnius, als das Flugzeug wegen einer Bombendrohung in Minsk notlanden musste.

Die Piloten hätten um Landeerlaubnis in Minsk gebeten, berichtet die staatliche Nachrichtenagentur Belta. Das Flugzeug von Ryanair sei auf Befehl von Alexander Lukaschenko nach Bekanntwerden der Bombendrohung auf den Flughafen Minsk beordert worden, so Belta. Dabei sei es von einem Abfangjäger, einer MiG-29, eskortiert worden. Bei einer Durchsuchung des Flugzeuges habe sich der Verdacht einer Bombe an Bord indes nicht bestätigt.

Doch sofort nach der Notlandung wurde ein Passagier der Boeing 737-8AS, nämlich Roman Protasewitsch, verhaftet. Protasewitsch steht auf der Fahndungsliste der belarussischen Machthaber ganz oben. Im November hatte Belarus an die polnischen Behörden ein Auslieferungsgesuch übermittelt. Der belarussische KGB hat Protasewitsch als Terrorist eingestuft. Er wird des Aufrufs zu Massenunruhen beschuldigt.

Der Mitbegründer des oppositionellen Telegram-Kanals Nexta gehört zum Mitarbeiterstab der belarussischen Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja. Nexta hatte von Polen aus live über die [2][Proteste in Belarus] nach den gefälschten Präsidentschaftswahlen vom 9. August berichtet. An den Ankündigungen von Nexta orientierte sich die Protestbewegung.

„Das Regime hat die Landung erzwungen“

Noch kurz vor dem Abflug in Athen hatte Protasewitsch Freunden berichtet, ein weiterer russisch sprechender Passagier habe sich vor dem Ticketschalter in merkwürdiger Weise für ihn interessiert und auch versucht, seinen Pass zu fotografieren, [3][berichtet das belarussische Portal euroradio.fm].

Swetlana Tichanowskaja will nicht glauben, dass eine Bombendrohung das Flugzeug zur Landung genötigt habe. „Das Regime hat die Landung erzwungen, um den Journalisten und Aktivisten Roman Protasewitsch festzunehmen. Ihm droht die Todesstrafe. Wir fordern die sofortige Freilassung von Roman“ [4][twitterte die Oppositionspolitikerin am Sonntag].

Gleichzeitig erklärte sie, sie erwarte sich von der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation eine genaue Aufklärung des Vorfalles. Die Organisation müsste Maßnahmen ergreifen bis hin zu einem Ausschluss von Belarus. Tichanowskajas Mitarbeiter Franak Viačorka bezeichnete den Vorfall als Flugzeugentführung.

Unterdessen wurde bekannt, dass am Freitag ein Aktivist der oppositionellen „Belarussischen Volksfront“, Witold Aschurok, in der Haft an Herzversagen gestorben ist. Dessen Ehefrau, Olga Aschurok, will dieser Version jedoch nicht glauben. Ihr Mann, so zitiert sie das Portal [5][belaruspartisan.by], habe nie Herzprobleme gehabt.

Witold Aschurok war im Januar diesen Jahres zu fünf Jahren verurteilt worden. Was ihm vorgeworfen wurde, ist nicht bekannt, da der Prozess hinter verschlossenen Türen stattfand. Aus der Haft hatte Aschurok mitgeteilt, dass Häftlinge, die der Protestbewegung zugerechnet werden, gelbe Aufnäher tragen müssten.

23 May 2021

LINKS

[1] /Kolumne-Notizen-aus-Belarus/!t5713571
[2] /Resignation-in-Belarus/!5768020
[3] https://euroradio.fm/detali-zatrymannya-pratasevicha-padazrony-lysy-i-kanflikt-z-pasazhyram
[4] https://twitter.com/Tsihanouskaya/status/1396435123592179714/photo/1
[5] https://belaruspartisan.by/

AUTOREN

Bernhard Clasen

TAGS

Schwerpunkt Krisenherd Belarus
Belarus
Minsk
Alexander Lukaschenko
GNS
Europäische Union
EU
Belarus
Belarus
Medien
Belarus
Belarus
Schwerpunkt Krisenherd Belarus
Belarus

ARTIKEL ZUM THEMA

EU und Geflüchtete: Menschen als Waffe

Europa ist mitverantwortlich dafür, dass Menschen als Druckmittel eingesetzt werden. Es macht sich erpressbar und spielt Autokraten in die Karten.

Neue EU-Sanktionen gegen Belarus: Schwarze Liste wird länger

Es gab eine Reaktion auf die Repressionen in Belarus und die Flugzeugentführung. 78 Einzelpersonen und acht Firmen werden mit Strafen belegt.

Entführter Oppositioneller in Belarus: „Ein Mann mit Eiern aus Stahl“

Der inhaftierte Blogger Roman Protassewitsch legt in einem Interview ein Geständnis ab und lobt Belarus' Machthaber. Alles deutet auf Folter hin.

Belarus nach der Flugzeugentführung: Lukaschenko im Würgegriff

Am Freitag trifft der belarussische Präsident erneut seinen Amtskollegen Wladimir Putin. Der will die „Integration“ weiter vorantreiben.

Festgenommener Blogger in Belarus: Erst schlagen, dann schminken

Der festgenommene Blogger Roman Protassewitsch wird in Belarus in den Staatsmedien vorgeführt. Vieles deutet dabei jedoch auf Folter hin.

Nach Zwangslandung in Minsk: „Wir leben in einem Terrorstaat“

Belarus diskutiert in den sozialen Medien über die Festnahme von Roman Protassewitsch. Die Sorge um den Oppositionellen ist groß.

Gesperrtes Nachrichtenportal in Belarus: Bye, bye „tut.by“!

Die Behörden in Belarus haben das meistgelesene unabhängige Nachrichtenportal gesperrt. Ein Vorwurf: Steuerhinterziehung in großem Stil.

Staatliche Folter in Belarus: Strafanzeige gegen Lukaschenko

Der belarussische Autokrat geht brutal gegen die Opposition vor. Nun wollen ihn Folteropfer dafür in Deutschland strafrechtlich belangen.

Belarus und der Widerstand der Literatur: Land im Koma

Sasha Filipenkos Roman „Der ehemalige Sohn“ greift historische Ereignisse in Belarus auf und zeigt mit Humor das Bild eines Unterdrückungsapparats.