taz.de -- Rassistische Polizeigewalt: „Deutschen wäre das nicht passiert“
Drei Geschwister sollen Polizisten verletzt haben und werden angeklagt. Das Ungewöhnliche: Der Richter glaubt dem aussagenden Beamten offenbar nicht.
Berlin taz | Als die Geschichte vor zwei Jahren durch die Presse ging, war der Tenor überall der gleiche: [1][„Berliner Polizisten bei Verkehrskontrolle verprügelt“] (BZ), [2][„Geschwister verprügeln Polizisten – Mutter filmt mit dem Handy“] (Süddeutsche), „Geschwister greifen Polizisten an und filmen Tat“ (FAZ). Völlig ungefiltert übernehmen die Zeitungen die [3][Sichtweise der Polizei] auf die Ereignisse vom Abend des 27. Mai 2019.
Am Dienstag sind nun die drei beschuldigten Weddinger Geschwister mithilfe der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt (KOP Berlin) an die Öffentlichkeit gegangen und haben ihre Sicht der Dinge geschildert. Zumindest teilweise untermauert wird diese vom juristischen Ausgang des Verfahrens vor einigen Wochen: Der Prozess gegen die Geschwister wegen „Widerstands gegen Polizeibeamte“ und „schwerer gemeinschaftlicher Körperverletzung“ wurde am 14. April gegen Zahlung einer Geldstrafe von 1.500 Euro eingestellt.
Bemerkenswert ist auch, was der Richter im Anschluss den Geschwistern gesagt haben soll: Für die Zukunft sollten sie sich merken, dass es bei Polizeikontrollen keinen Sinn habe, zu widersprechen und Widerstand zu leisten, da hätten sie „keine Chance, das lässt sich die Staatsgewalt nicht gefallen“. So zitiert Jiehad den Satz; dass er sinngemäß so gefallen ist, bestätigten die Rechtsanwältinnen der Geschwister, Diana Blum und Claudia Lind.
Nach Darstellung von Amani, Jiehad und Mustapha, zur „Tatzeit“ 26, 21 und 23 Jahre alt, waren es zwei Polizist*innen, ein Mann, eine Frau, die „offenbar überfordert“ eine einfache Personalienfeststellung im Zuge einer Verkehrsauseinandersetzung eskalierten. Zunächst sei der Beamte „ausgeflippt“, so Jiehad, weil Amani und Mustapha mit ihren Handys filmten, wie er seine (Jiehads) Daten aufnahm. „Er hat meinem Bruder die Kamera aus der Hand geschlagen und wollte mich in den Schwitzkasten nehmen“, so Jiehad.
„So etwas gibt es ständig“
Die Polizistin habe ihre Waffe gezogen und auf den Bruder gezielt. Als die Verstärkung kam, etwa 20 Polizist*innen, hätten Beamt*innen beide Brüder, obwohl da schon in Handschellen, getreten und geschlagen, die Schwester sei von der ersten Beamtin gewürgt worden. Auch in der Gefangenensammelstelle seien später die Misshandlungen weitergegangen.
„Die Geschichte ist schrecklich, aber so etwas gibt es ständig“, kommentierte Biplab Basu von KOP – und meinte damit nicht nur die Polizeigewalt, sondern auch, dass Beamt*innen Handyaufnahmen oft nicht tolerieren würden. Normal sei leider auch, dass die Anzeigen der Geschwister gegen die Polizist*innen wegen Körperverletzung im Amt schon nach wenigen Wochen eingestellt wurden.
Ungewöhnlich ist hingegen, was offenbar vor Gericht geschah, als die Anzeigen der Polizei verhandelt wurden. Nach Darstellung der Anwältinnen hat der hauptbeteiligte Polizist vor Gericht derart aggressiv auf Fragen der Verteidigung reagiert, dass er mehrmals vom Richter ermahnt werden musste. „Der Richter sagte zu uns, er glaube nicht, dass der Polizist bei der Tat deeskalierend gewirkt hat“, so Blum. Offenbar habe er Zweifel an den polizeilichen Schilderungen gehabt, sonst hätte er keine Einstellung vorgeschlagen. Darüber wiederum hätten sich die beiden PolizistInnen „wahnsinnig aufgeregt“. Dass die drei nicht verurteilt wurden, „hat für sie offenbar eine Welt zerstört“.
Zerstört ist nun auch das Vertrauen der Geschwister in die Polizei. Amani: „Ich habe jetzt immer Angst, wenn ich Kontrollen sehe, dass sie mich wieder mitnehmen.“ Zudem glaubt die junge Frau mit arabischem Hintergrund, dass auch Rassismus eine Rolle gespielt hat. „Deutscher Pass hin oder her: Wir wurden geschlagen und gedemütigt. Einer deutschen Frau wäre das nicht passiert.“
19 May 2021
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Patrick Yuma wurde 2019 in einer Polizeiwache verletzt. Eine Entschuldigung der Beamten gibt es bis heute nicht. Jetzt verlangt er Schmerzensgeld.
Bis zu 8.000 Menschen feiern in Berlin den Tag der Befreiung vom Faschismus und kritisieren rechtsextreme Strukturen in Polizeibehörden.
Die Politik diskutiert über die Demonstrationen und Polizeieinsätze. Die einen sehen sinnlose Krawalle, die anderen Polizeigewalt.
Berlin sucht hinter den Kulissen nach einem Polizeibeauftragten. Transparenz wäre sinnvoller, sagt Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes.
Offizielle Zahlen zu Todesfällen in Gewahrsam gibt es bisher nicht. Die Kampagne Death in Custody hat die Fälle nun erstmals zusammengetragen.
„Trotz Lockdown gab es 2020 kaum weniger Angriffe“, sagt Reachout – antiasiatischer Rassismus habe mit Corona zugenommen.