taz.de -- Digitales Theater der Woche: Eiskalte Tage
Desillusioniertes Wohnprojekt im TD Berlin, die Schaubühne streamt „Winterreise im Olympiastadion“ von 1977. In Hamburg steigt das Lessing-Festival.
Schon mal mit anderen ein Haus gebaut? Für selbstbestimmtes Wohnen und Leben? Eine Gemeinschaft, die dies unternahm, stellt die Schriftstellerin Anke Stelling in ihrem 2015 erschienenen Roman „Bodentiefe Fenster“ vor, für den sie 2019 den Preis der Leipziger Buchmesse gewann. In „Bodentiefe Fenster“ porträtiert Stelling eine Eigentümergemeinschaft im Prenzlauer Berg, die gemeinsam ein Haus saniert hat. Mit scharfer Beobachtungsgabe nimmt Anke Stelling dann Lebenslügen und Phrasen auseinander, hinter dem das Personal des Romans sich verschanzt und immer wieder ins Leere nach dem Leben greift.
Im Theaterdiscounter – der nun den neuen Namen [1][TD Berlin] trägt – haben sich der Regisseur Georg Scharregg und die Dramaturgin Sabrina Zwach das Buch vorgenommen und einen Theaterabend mit interaktiven Elementen daraus gemacht. Da können die Zuschauer dann auch mal zeigen, ob sie klüger als die Protagonisten sind, und sich per Chat an den Sitzungen der Hausgemeinschaft beteiligen (ab 28.1. 20 Uhr, Tickets ab 7.70 EUR: [2][tdberlin.reservix.de]; Stream: [3][td.berlin/streaming]).
„Winterreise“ zurück in der Schaubühne
Die Schaubühne holt wieder einen historischen Stream aus der Schatzkammer, und zwar Klaus Michael Grübers berühmte Inszenierung „Winterreise im Olympiastadion“ aus dem Jahr 1977. Damals, also im eiskalten Winter, der dem Deutschen Herbst gefolgt war, an dessen finsterem Höhepunkt sich die RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe nach Befreiung der entführten Lufthansa-Maschine „Landshut“ das Leben genommen hatten, setzte Grüber in Hitlers Olympiastadion bezugsreich Textfragmente von Hölderlins „Hyperion“ in Szene, u.a. mit Michael König, Wolf Redl, Gerd Wameling, Eberhard Feik, Günter Lampe, Tina Engel und Libgart Schwarz.
Winterreise, so hieß nicht nur ein Lieder-Zyklus von Franz Schubert, sondern auch die erste flächendeckende Polizeimaßnahme gegen die RAF und ihr Umfeld in der Bundesrepublik im Jahr 1975 (Stream verfügbar bis 27.1., 18 Uhr, [4][www.schaubuehne.de/de/produktionen]).
Lessing-Tage in Hamburg
Und dann können wir in dieser Woche nach Hamburg ins Thalia Theater schauen, wo zur Zeit online die Lessing-Tage stattfinden. Am 27. 1. zeigt das Festival Maxim Didebkos Inszenierung „Der Idiot“ nach Fjodor M. Dostojewski, die am Moskauer Theater der Nationen entstand (alle Online-Gastspiele des Festivals hier: [5][www.thalia-theater.de]).
25 Jan 2021
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Im Delphi landet Alice in der Psychatrie; die Schaubühne streamt mit „Dämonen“ ein Stück des kürzlich an Covid-19 verstorbenen Dramatikers Lars Norén.
Die Deutschen lieben Künstler:innen, die keine Probleme machen. Die widerborstigen eher nicht, vor allem in Coronazeiten.
In den Uferstudios kommt die Reihe Breathe zum Abschluss. Das Ballhaus Ost besteigt Berge. Und das Gorki gedenkt dem ermordeten Journalist Hrant Dink.
Historisch: Berliner Häuser zeigen Highlights aus ihrem Repertoire der 60er und 70er. Derweil in München: Recherchen zum Oktoberfestattentat 1980.