taz.de -- Thomas King „Dunkle Wolken über Alberta“: Zwei Tote im Grenzland
Ein Antiheld, unterwegs als Fotograf im Grenzgebiet zwischen USA und Kanada. Thomas Kings Krimi „Dunkle Wolken über Alberta“.
Selten hat ein Ermittler nachvollziehbarer an der Welt gelitten als Thomas Kings Ex-Cop Thumps DreadfulWater. Thumps hat nämlich Diabetes und dabei ständig Hunger. Außerdem liebt er eine Frau, die ihn zu oft auf Abstand hält. Im Übrigen ist er wohl selbst etwas beziehungsgeschädigt, seit ein paar Jahre zuvor, als Thumps noch als Cop in Kalifornien lebte, seine Verlobte und deren Tochter Opfer eines Serienkillers wurden.
Ein tragisches Männerschicksal also, das bei Thomas King (von Beruf Professor für Native Studies und kreatives Schreiben) zur dunklen Grundierung eines ansonsten eher humoristisch angelegten Kriminalromans wird. Er spielt auf kanadischem Boden im Grenzland zwischen den USA und Kanada – indigenes Gebiet eigentlich, in dem Grenzziehungen vielen Ortsansässigen völlig willkürlich erscheinen.
Thumps, wie sein Autor zum großen Teil indigener Abstammung, ist eher zufällig in der Kleinstadt Chinook gestrandet, als er nach dem Serienkillertrauma Kalifornien den Rücken gekehrt hatte. Nun verdient er seine Brötchen als Landschaftsfotograf und lässt sich nur sehr widerwillig vom Sheriff als dessen Stellvertreter einspannen, als erhöhter Ermittlungsbedarf eintritt: Kurz nacheinander werden zwei Leichen gefunden, die eines Mannes und einer Frau, die beide, wie sich herausstellt, vor Ort auf einer Konferenz zum Thema Wasser auftreten sollten.
Auf indigenem Land, das zu diesem Zweck gepachtet worden war, hatte das Unternehmen der beiden Toten eine Messanlage getestet, mit der angeblich nicht nur Wasservorkommen, sondern auch andere Ressourcen in tieferen Gesteinsschichten genau kartiert werden können. Hat dieses neue, wahrscheinlich überaus lukrative Verfahren etwa Begehrlichkeiten hervorgerufen, die nun Menschen das Leben kosten?
Die Entwicklung des kriminalistischen Plots gehört nicht zu den stärksten Seiten des Romans. Obwohl die Motivlage der einzelnen Figuren hinreichend unklar ist, um für gewisse Überraschungen zu sorgen, schafft King es nicht wirklich, einen großen Spannungsbogen bis zur Auflösung zu bauen. Das stört aber nicht sehr, da der Roman insgesamt überaus unterhaltsam ist.
Thomas King hat ein Händchen für Dialoge – und für seine Charaktere. Thumps DreadfulWater als Ermittler wider Willen ist eine eindrückliche Antiheldengestalt, und sein Autor hat ihm einen Haufen interessanter Nebenfiguren zur Seite gestellt: etwa die pragmatische Pathologin, die zur Not auch im Leichenkeller als Hausärztin praktiziert. Der griechischstämmige Antiquar, der nicht müde wird, die Welt zu verbessern. Der ödipal veranlagte Sohn von Thumps Geliebter Claire.
Man will sie definitiv alle gern wiedersehen, und dazu wird es offenbar auch Gelegenheit geben, denn dieser Band wird bei Amazon als „DreadfulWater ermittelt 1“ angepriesen. Das ist nicht ganz richtig, denn es handelt sich bei diesem Buch eigentlich um Band drei aus der fünfbändigen Serie, die bereits Anfang der 2000er Jahre erstmals im Original erschien. Aber es macht jedenfalls Hoffnung auf mehr.
22 Nov 2020
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