taz.de -- Preis für die Opposition in Belarus: Schöne Gesten reichen nicht
Der Sacharow-Preis könnt der Protestbewegung in Belarus Schubkraft verleihen. Allerdings braucht es auch konkrete Unterstützung der EU.
Dass d[1][er diesjährige Sacharow-Preis] des Europäischen Parlaments an die Opposition in Belarus geht, ist in mehrfacher Hinsicht bedeutsam: Einerseits wird das Engagement so „altgedienter“ Regimekritiker wie des Sozialdemokraten Mikalay Statkewitsch und des Menschenrechtsverteidigers Ales Beljatzki gewürdigt. Über sie redet kaum noch jemand, gleichwohl haben auch sie ihren Beitrag zu den jüngsten Entwicklungen in der Ex-Sowjetrepublik geleistet.
Andererseits könnte die Auszeichnung der Protestbewegung und ihren führenden Köpfen die nötige Schubkraft verleihen, derer sie dringend bedürfen. Denn die Machtprobe zwischen Zehntausenden Belaruss*innen, die seit über zwei Monaten gegen das autokratische Regime auf die Straße gehen, und einem illegitimen Präsidenten, der sich weigert, von der Macht zu lassen, könnte bereits am kommenden Wochenende in ihre entscheidende Phase gehen.
Am Sonntag läuft ein Ultimatum aus, das die Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja Alexander Lukaschenko gestellt hat. Sollte er nicht abtreten, alle politischen Gefangenen freilassen und seine gewalttätigen Sicherheitskräfte zurückpfeifen, droht ein landesweiter Streik.
Derzeit deutet nichts darauf hin, dass sich Lukaschenko diesen Forderungen beugen wird. Ebenso wenig Anzeichen gibt es, das die Demonstrant*innen weichen werden – trotz eines Schießbefehls, den Lukaschenko seinen Sicherheitskräften erteilt hat. Ergo: Es besteht die Gefahr, dass die Lage eskaliert und Hunderte Tote fordert.
Wer, wie das EU-Parlament, jetzt ein klares Zeichen der Solidarität aussendet, steht deshalb besonders in der Verantwortung. EU-Parlamentspräsident David Sassoli beschied den Oppositionsvertreter*innen am Donnerstag, sie hätten die Wahrheit auf ihrer Seite. Das sind schöne Worte, aber die reichen nicht. Vielmehr braucht es konkreter Unterstützung der Oppositionsbewegung, auf unbestimmte Zeit. Da ist noch einige Luft nach oben.
22 Oct 2020
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Das Europäische Parlament ehrt den prominentesten Kremlkritiker mit dem diesjährigen Sacharow-Preis für Menschenrechte.
Gibt es einen Unterschied zwischen den Ereignissen 1937 und 2020? Janka Belarus erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 30.
Erneut sind Zehntausende in Minsk gegen Präsident Lukaschenko auf die Straße gegangen. Mehr als 40 Demonstrant*innen sollen verhaftet worden sein.
Darf ein Mediziner in seiner Freizeit an einer Protestaktion teilnehmen? Janka Belarus erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 28.
Tausende beteiligen sich an Streikaktionen gegen Staatschef Lukaschenko. Doch die Sicherheitskräfte machen auch nicht vor protestierenden Ärzten halt.
Nach dem Ablauf des Ultimatums folgen in Belarus Tausende dem Aufruf der Opposition – auch in der Provinz. Doch ein Generalstreik sieht anders aus.
Lukaschenko lässt das Rücktrittsultimatum von Oppositionsführerin Tichanowskaja verstreichen. Hunderttausende drohen mit Streik.
Kann ein Kulturschaffender zu einem Teil der Politik werden? Janka Belarus erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 26.
Das Europäische Parlament verleiht den Menschenrechtspreis an zehn Regimegegner in Belarus. Im Kampf für die Demokratie sollen sie nicht aufgeben.
Die Zahl der Verhaftungen von Medienschaffenden in Belarus nimmt dramatisch zu. Reporter ohne Grenzen fordert ihre umgehende Freilassung.
Lukaschenkos Handlanger gehen äußerst brutal gegen Demonstrant*innen vor. Jetzt haben sie auch noch die Lizenz zum Schießen bekommen.
Die gewaltsame Unterdrückung der Proteste in Belarus steuert auf eine neue Eskalation zu. Das Innenministerium hat nun den Einsatz von tödlichen Waffen erlaubt.