taz.de -- Kunst in Belarus: Niemand nimmt „Eva“ weg

Kann ein Kulturschaffender zu einem Teil der Politik werden? Janka Belarus erzählt von stürmischen Zeiten in Minsk. Folge 26.
Bild: Eine Demonstrantin mit besagtem Bild der „Eva“, die einen Stinkefinger zeigt

Seit 2015 existiert in Minsk das Projekt „Herbst-Salon“. Dessen Ziel ist es, belarussische Kunst populär zur machen und für Unterstützung zeitgenössischer Künstler:innen zu werben. 2011 begann die Belgasprombank damit, eine Kollektion mit Bildern von Künstler:innen zusammen zu stellen, die in Belarus geboren und international bekannt geworden sind.

Einer von ihnen – er stammt aus der Kleinstadt Smolewitschi – ist Chaim Sutin, ein Vertreter der Pariser Schule. Bis 2012 gab es in der historischen Heimat Sutins kein einziges seiner Bilder. 2013 ersteigerte die Belgasprombank bei Sotheby’s in New York für 1. 800000 US-Dollar Sutins Kunstwerk „Eva“ aus dem Jahre 1928 – das bislang teuerste Bild in Belarus.

Nachdem der ehemalige Chef von Belgasprombank, Viktor Babariko, Kandidat bei den diesjährigen Präsidentschaftwahlen geworden und danach [1][festgenommen] worden war, konnte der Staat nicht mehr ruhig über die Mäzenatentätigkeit der Bank hinweg gehen.

150 Bilder im Wert von insgesamt rund 20 Millionen US-Dollar wurden im Rahmen eines Strafverfahrens, bei dem es um Steuerhinterziehung und Geldwäsche ging, beschlagnahmt. Seltsam dabei war, dass alle diese Bilder bei ihrer Einfuhr nach Belarus in korrekter Reihenfolge und als Kulturerbe registriert worden waren. Beschlagnahmt wurde auch „Eva“. Man sagt, dass sich das Bild derzeit zwecks „Aufbewahrung“ bei der Ehefrau eines der beiden älteren Söhne von [2][Alexander Lukaschenko] befinde.

Nach „Evas Verhaftung“ dachte sich Julia Schewschuk, Schauspielerin am Freien Theater, einen Aufdruck für T-Shirts aus: Besagtes Bild „Eva“ nebst einer nicht ganz stubenreinen Geste. Diese Idee gefiel den Belarussen. „Eva“ tauchte auf den Straßen der Städte auf und brachte die Passanten ausnahmslos zum Lachen. „Ein tolles T-Shirt haben Sie da!“

Vor kurzen wurde im Kulturpalast eine Ausstellung wieder eröffnet, in der Bilder junger belarussischer Künstler:innen gezeigt werden – auch solche, die mit den Ereignissen der vergangenen Monate zu tun haben. An einer Wand hängt ein Foto von Julia Schewschuk, was sie bei sich auf Facebook wie folgt kommentierte: „Das habe ich erst jetzt erkannt: Mein Porträt in der Art von „Eva“, von Julia Mazkewitsch, hängt im Moment genau an dem Platz von Sutins Bild, das der Staat dreist entwendet hat. Jetzt habe ich nicht einmal mehr das Recht, Anzeichen von Verzweiflung zu zeigen.“

Aus dem Russischen Barbara Oertel

24 Oct 2020

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