taz.de -- Nach dem Brand in Moria: Berlin muss jetzt handeln

Bei Seehofer auf eine humanitäre Erleuchtung zu warten, ist sinnlos. Länder wie Berlin müssen jetzt sofort mit allen erdenklichen Mitteln handeln.
Bild: Könnte vielleicht schon in Berlin sein, wohnt nun am Straßenrand: Geflüchtete auf Lesbos

Seit Mittwoch ist die Situation in Moria eskaliert. Mehrere Brände zerstörten das überfüllte Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos vollständig, Tausende Menschen sind obdachlos, viele unversorgt. Zu sagen „es reicht jetzt wirklich“, wäre eine maßlose Untertreibung, man sei „gescheitert“, in vielerlei Hinsicht falsch. Was wurde denn versucht?

Man schaue sich das systematische Abriegeln der EU-Außengrenzen in den letzten Jahren an. Man schaue sich an, wie Deutschland 2016 mit der Türkei ein Abkommen aushandelte, in dem buchstäblich mit Menschen gehandelt wird. Man führe sich den Horror vor Augen, den die geflüchteten Menschen auf Lesbos bereits erleben mussten. Ja, man denke daran, dass nach Coronafällen in Moria – anstatt zu evakuieren – das Lager unter Quarantäne gestellt wurde – ein Lager, in dem fast fünfmal mehr Menschen eingesperrt waren, als eigentlich darin Platz haben.

Es wundert nicht, dass das Innenministerium auch nach den Bränden bisher nicht von einer Aufnahme der Geflüchteten sprach und Merkel sich jetzt gemeinsam mit Macron nur zu einer Zahl von 400 Menschen durchringen konnte. Schon seit Jahren bleibt eine Aufnahme, die sich in einem notwendigen – und möglichen – Umfang bewegt, aus.

Viele Augen wandern von der unwilligen Bundesebene darum zu den Ländern. Unter anderem Berlin hatte eigenständig die Entscheidung getroffen, mehrere Hundert Geflüchtete aufzunehmen: Es gebe Platz. Innenminister Horst Seehofer blockierte den Entschluss. Dass es für die Länder in dieser Katastrophensituation nun nicht möglich ist, den Menschen auf Lesbos legal mit einer Aufnahme zu helfen, obwohl sie es könnten, ist absurd.

Wie die Berliner Grüne Bettina Jarasch im taz-Interview sagte, sei sie, um Seehofer Druck zu machen, für einen „gemeinsamen Beschluss der Länder, dass wir mehr Geflüchtete aufnehmen können als die 928 Menschen, die bisher kommen dürfen“. Den gibt es aber frühstens in einer Woche, wenn der Bundesrat tagt. Bis dahin sind vielleicht Menschen gestorben.

Unabhängig von diesem Beschluss muss es außerdem schnell eine Klage gegen Seehofers Blockade geben. Wo bleibt die? Es lägen „viele rechtliche Expertisen vor, insofern ist die Position von Seehofer juristisch mindestens angreifbar“, sagte Jarasch.

Doch auch ein gerichtliches Verfahren würde lange dauern. Die Frage, die bleibt: Wer macht sich hier eigentlich schuldig, während die Zeit verrinnt? Es ist doch nicht Berlin, wenn es entgegen Seehofers Bestimmungen sofort handeln würde. Schließlich ist das, was dieser Mann da tut, indem er nichts tut, mehr als unterlassene Hilfeleistung.

Bei Seehofer auf eine humanitäre Erleuchtung zu warten, ist sinnlos. Länder wie Berlin, die bereits Menschen aus Moria aufnehmen wollten, müssen jetzt sofort mit allen erdenklichen Mitteln handeln.

12 Sep 2020

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Greta Rothenpieler

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