taz.de -- Kunst in Berlin: Kupferrote Gemütszustände
Sentimentale Titel, melancholische Reue: Sophie Jung empfiehlt Kunst im öffentlichen Raum und einen Gang durch die Berliner Galerie.
1988 „Plastik und Blumen“ und 2020 „Himmlische Rose“ – sagen Titel für Kunst im öffentlichen Raum auch etwas über den gesellschaftlichen Gemütszustand aus, so muss dieser sich in den letzten dreißig Jahren von nüchtern zu sentimental gewandelt haben. Von einer gewissen Corona-Sentimentalität soll [1][Felix Stumpf] bei der Arbeit an seiner „Himmlischen Rose“ tatsächlich geleitet worden sein, einsam im Atelier während des Lockdowns.
Doch seine farbliche Raumstruktur, die seit Juni im [2][Rosengarten des Treptower Parks] steht, ist vor allem vielschichtig – mit einfachen Mitteln. Quadrat und Kreis, Pink, Gelb und Cyan reiht Stumpf auf neun mannshohen Tafeln zu einer Installation zwischen Bühnenbild, Skulptur des Minimal und Op-Art hintereinander. Eigentlich ein fröhlich-buntes Gebilde, das mit seiner räumlichen Tiefe aber auch gleich eine philosophische Tiefe entwickelt. Mit Stumpfs quadratischer Rose führt der Bezirk Treptow-Köpenick eine schon vergessene Tradition aus DDR-Zeiten im Park fort, nämlich jene Ausstellungsfolge „Plastik und Blumen“ von 1957 bis 1988 (bis 15. Oktober, tgl. 24 Stunden, Rosengarten im Treptower Park).
Gezeichnete Stadt
Eine Idee von den Gemütszuständen der Öffentlichkeit tut sich auch in der [3][Berlinischen Galerie] auf, die 69 Künstler:innen in der Ausstellung „Gezeichnete Stadt. Arbeiten auf Papier von 1945 bis heute“ versammelt. Es gibt Wut beim SPD-Painter und früheren Eighties-Punk [4][Rainer Fetting], der eine männliche Figur vor der Berliner Mauer fauvistisch zu einem grün muskulösen Wesen wie Hulk aus den Marvel-Comics aufbäumen lässt.
Von melancholischer Reue sprechen [5][Tacita Deans] Detailaufnahmen des Berliner Doms, die sie in das unverkennbare Kupferrot der Fassade vom mittlerweile abgerissenen Palast der Republik taucht. [6][Tal R] berührt spitzfindig eine Scham vorm Offensichtlichen: In naiven Buntstiftzeichnungen studiert er die Straßenfronten von Sexshops und Bordellen, sozusagen die öffentliche Seite eines anrüchigen Gewerbes (bis 4. Januar, Mi. bis Mo., 10 bis 18Uhr, Alte Jakobstr. 124-128).
Die Identität des Stadtraums
Dem Zustand jetzt und hier in dieser Stadt und in dieser normal gewordenen Ausnahmesituation zu Corona-Zeiten wollen die Kuratorinnen Marie Therese Bruglacher und Marina Naprushkina mit der Veranstaltungsreihe „Set“ im Park am Nordbahnhof nachspüren. Performances und Installationen sollen in den nächsten zwei Wochen das Wechselspiel von Stadtraum, Geschichte und Identität ausloten. Einen gesellschaftlichen Zustand, den wir keineswegs als fest ge„set“tet verstehen sollen (21. August, 19 und 21 Uhr; 22. August 14, 18 und 20 Uhr; 5. September, 19 und 20 Uhr; Programm: [7][https://www.berlin.de/ba-mitte/aktuelles/pressemitteilungen/2020/pressemitteilung.978193.php], Park am Nordbahnhof).
21 Aug 2020
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