taz.de -- Studie zu Süßwasserfischen: Eine Million Barrieren

Nur jeder fünfte Strom fließt ungehindert in einen Ozean. Das hat dramatische Folgen für die darin lebenden Süßwasserfische.
Bild: Das renaturierte Flussauengebiet oberhalb der Lippemündung in den Rhein

Wenn man auf einer Weltkarte farbig markiert, wo Flüsse noch ungehindert ihrem natürlichen Lauf folgen und wo sie andererseits durch Begradigung, Deiche und Stauwerke in ein Korsett gezwängt wurden, entsteht ein deutliches Bild: In den dicht besiedelten und industrialisierten Weltgegenden gibt es praktisch keine natürlichen Flussläufe mehr. Um sie zu finden, muss man in den Norden Kanadas schauen, ins östliche Russland oder in die tropischen Regionen Südamerikas und Afrikas. Nur jeder fünfte Strom mit mehr als 1.000 Kilometern Länge fließt heute noch ungehindert in einen Ozean.

Dies hat [1][dramatische Folgen für die Fische] in diesen Wasserläufen, besonders für die wandernden Süßwasserfischarten wie [2][Aale oder Störe]. Ihre Bestände sind seit 1970 weltweit auf ein Viertel geschrumpft, in Europa sogar um 93 Prozent. Auf unserem Kontinent gibt es eine Million Barrieren für die Fischarten, die zum Laichen weite Strecken zurücklegen. Der WWF hat für eine Studie zum Thema 20.000 Wasserkraftwerke in Europa gezählt, allein 4.200 davon in Bayern. Der Verlust des natürlichen Lebensraums für Süßwasserfische spielt eine wesentlich größere Rolle bei ihrem Niedergang als die Überfischung.

An manchen Orten wurde das Problem erkannt. In den Niederlanden wird derzeit ein Fischdurchgang in den Abschlussdeich zur Nordsee eingebaut, der zeigt, dass Hochwasserschutz und Naturschutz sich nicht ausschließen. Die Europäische Biodiversitäts-Strategie sieht vor, bis 2030 mindestens 25.000 Kilometer Flussläufe zu renaturieren. Im Rhein hat nach dem Chemieunglück von 1986 bei Sandoz in Basel das Programm „Lachs 2000“ Lebensräume für diese langsam in den Strom und seine Nebenflüsse zurückgekehrte Fischart zurückgewonnen und wurde als „Lachs 2020“ weitergeführt. Ähnliches wird an Elbe und Weser versucht.

Die WWF-Studie zeigt, dass es sinnvoll ist, diese Projekte zu entwickeln, ja zu forcieren. Erkennbar wird, dass renaturierte Wasserläufe sich oft auch rechnen – weil es mehr gibt als Lastkähne und Stromgewinnung.

29 Jul 2020

LINKS

[1] https://www.wwf.de/2020/juli/wwf-fordert-mehr-freiheit-fuer-die-fluesse/
[2] /Mysterioeses-Fischsterben/!5691392

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Stefan Schaaf

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