taz.de -- Neues Berliner Bündnis #jetzterstrecht: Links ist noch Perspektive

#jetzterstrecht versammelt 25 linke Initiativen. Am Vorabend des 1. Mai demonstrierten sie für Solidarität mit Benachteiligten in der Coronakrise.
Bild: Korrekt mit Mund-Nasen-Schutz: Demonstrantin auf der #jetzterstrecht-Kundgebung im Wedding

Berlin taz | Tatort – nicht betreten“ stand auf den Flatterbändern, mit denen die Polizei ein kleines Areal am Weddinger Leopoldplatz abgesperrt hatte. Dort hatte die Stadtteilinitiative „Hände weg vom Wedding“ (HwvW) unter dem Motto [1][„Die Reichen sollen zahlen“ am Donnerstagnachmittag eine Kundgebung organisiert] als Ersatz für die Stadtteildemonstration, die seit Jahren am Vorabend des 1. Mai im Wedding stattfindet.

Wegen der Coronapandemie durften in diesem Jahr nur 20 Personen in den abgesperrten Kundgebungsbereich. Dort wurden Schilder mit Parolen hochgehalten: „Keine Profite mit unserer Gesundheit“, „Bleiberecht für illegalisierte MigrantInnen“, „Verteidigung der Grundrechte“. Einige AnwohnerInnen solidarisierten sich mit Sprechchören.

„Die aktuelle Lage zeigt, dass das herrschende Wirtschaftssystem keine soziale Antwort auf die Krise liefern kann“, sagte HwvW-Sprecherin Jannis Höpner der taz. Verteilt wurde ein Forderungskatalog für eine soziale und demokratische Krisenbewältigung im Bezirk Wedding, der in den letzten Wochen gemeinsam mit StadtteilbewohnerInnen erstellt wurde. Der Initiative geht es darin um würdige Arbeitsbedingungen, um das Recht auf Wohnen und um die Vergesellschaftung des Gesundheitswesens.

Doch die AktivistInnen sind nicht nur im Kiez aktiv. Sie sind Teil des Bündnisses [2][#jetzerstrecht], zu dem sich berlinweit mittlerweile über 25 Initiativen zusammengeschlossen haben. Aus dem Wedding sind neben HwvW auch das Kiezhaus Agnes Reinhold und die Erwerbsloseninitiative Basta vertreten. Unter dem Motto „Solidarität ist mehr als Händewaschen“, stellt das Bündnis schnell erfüllbare Forderungen auf, die die sozialen Folgen der Coronakrise für Menschen mit geringem Einkommen mildern sollen. Die Reformvorschläge erstrecken sich auf die Gesundheits-, Sozial- und Wohnungspolitik und auf die Rechte für Geflüchtete.

„Die Idee zum Bündnis ist Mitte März am Beginn der Coronakrise entstanden, als die Verunsicherung auch in linken Gruppen groß war“, erklärt Jakob, der seinen Nachnamen nicht nennen will. Er ist Mitglied der Basisgewerkschaft Freie ArbeiterInnenunion (FAU), die den Aufruf ebenfalls unterschrieben hat. Angesprochen wurden vor allem Initiativen, die sich für soziale Rechte im Stadtteil und am Arbeitsplatz einsetzen.

„Wir vernetzen uns im Bündnis #jetzterstrecht themenübergreifend, um die Zeit in und nach der Coronakrise mit linken Inhalten zu gestalten“, erklärt David Schuster vom Bündnis Zwangsräumung verhindern gegenüber der taz. Auch der Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen e. V. (Besd) gehört zu den UnterzeichnerInnen von #jetzterstrecht. „Wir haben den Aufruf unterschrieben, weil er auch unsere Probleme reflektiert“, sagt Susanne Bleier Wilp vom Vorstand des Verbands. Sie betont, dass [3][die Mehrheit der SexarbeiterInnen in Berlin MigrantInnen und mehrfach stigmatisierte Personen seien], die von Wohnungsnot besonders betroffen sind und kaum Zugang zu medizinischer Versorgung während der Coronakrise haben.

Die gegenseitige Unterstützung gehört zu den Zielen von #jetzterstrecht. Auf der Bündnishomepage werden Ideen für Soli-Aktionen und für die Unterstützung bestehender Gruppen und Bündnisse gesammelt.

1 May 2020

LINKS

=> http://Mit%20Abstand%20die%20erste%20Demo [1] http://Mit%20Abstand%20die%20erste%20Demo

[2] https://www.jetzterstrecht.org/de
[3] /Corona-und-Prostitution/!5671919&s=sexarbeit+corona/

AUTOREN

Peter Nowak

TAGS

Schwerpunkt 1. Mai in Berlin
Schwerpunkt Coronavirus
#jetzterstrecht
Illegalisierte
Tag der Arbeit, Tag der Proteste
Jugendzentrum
Polizei Berlin
Schwerpunkt Coronavirus
Schwerpunkt Coronavirus

ARTIKEL ZUM THEMA

Illegalisierte Menschen in der Pandemie: Impfung und Legalisierung gefordert

Bis zu 100.000 migrantische Menschen ohne Papiere leben in Berlin. Viele sind in der Pandemie besonders gefährdet.

Musik zum 1. Mai in Bosnien: Kultband legt Maisong neu auf

In Bosnien ist der 1. Mai einer der wichtigsten Feiertage – doch nun sind alle im Hausarrest. Dubioza Kolektiv hat dafür den perfekten Song.

Berliner Polizei räumt besetzte Villa: Bröckelnder Putz statt Freiräumen

Einen Tag lang hielten Jugendliche eine leerstehende Villa in Westend besetzt. Sie wollten dort ein Jugendzentrum gründen. Polizei räumt mit Rammbock.

1. Mai in Berlin: 5.000 Polizisten im Einsatz

Mit einem Großaufgebot will die Polizei die Corona-Beschränkungen durchsetzen. 20 Klein-Kundgebungen sind genehmigt. Aktionen in Kreuzberg am Abend.

Grünen-Parteitag zur Coronakrise: Uneins über Reichensteuer

Die Grünen-Spitze will am liebsten nicht über Steuern sprechen. Doch vor dem Parteitag werden Forderungen nach einer Vermögensabgabe laut.

Foodwatch warnt vor Mangelernährung: Mehr Hartz IV wegen Corona

Die SPD müsse für höhere Hartz-IV-Sätze kämpfen, um Mangelernährung zu verhindern, sagt Foodwatch. Viele Tafeln seien geschlossen, Preise gestiegen.