taz.de -- „Tatort“ aus Hamburg: Zu viele Probleme für 90 Minuten
Gentrifizierung, Clan-Kriminalität, Sexarbeit. Der Hamburger „Tatort“ mit Wotan Wilke Möhring steckt mal wieder voller Klischees.
Hamburg, Reeperbahn und Rotlichtmilieu. Verrauchte Kneipen, in denen Barfrauen ihren Seemännern die Schnäpschen auf die Tresen knallen. Männer schleppen sich aus dem Bordell ins Bett und dazwischen taucht eine Leiche auf. Ein Auftragsmord, praktischerweise nicht weit von der Wohnung des Hauptkommissars entfernt. [1][Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring)] kennt sich hier bestens aus, der Name des Toten sagt ihm sogar etwas. Während der Ermittlungen trifft Falke auf seinen alten Bekannten Lübke. Ein Kiez-Urgestein, der sich auf St. Pauli scheinbar nicht mehr so richtig wohlfühlt. Viel zu gern spricht er über „Die goldene Zeit“, wie der Titel praktischerweise verrät.
Im Laufe der Mordaufklärung klappern Falke und seine Kollegin Julia Grosz (Franziska Weisz) alle möglichen Probleme der Reeperbahn ab. Ein bisschen Gentrifizierung, [2][ein Hauch von Clan-Kriminalität] und ein Zwischenstopp im Bordell. Diese Vielseitigkeit ist im Prinzip nicht schlecht, nur wie soll man all das in anderthalb Stunden vernünftig darstellen? Geht nicht, da muss man dann auf Stereotype zurückgreifen, die selbst die Ermittler*innen manchmal komisch finden.
Natürlich hat der Boss der Shisha-Bar einen Haufen stabiler Bodyguards, die alle ihre breiten Schultern in schwarze Lederjacken quetschen. Auf die Polizei reagieren sie ohne Furcht und mit knackenden Fingerknöcheln. Clan-Kriminalität ist derzeit vielerorts ein Thema, erst recht in den Krimis. Doch so schnell wie das Problem abgefrühstückt wird, wirkt es eher wie halbgarer Rassismus vom Luden Lübke, dem es gar nicht schmeckt, dass den Albanern „der halbe Kiez“ gehört.
Und dann sind da noch die Prostituierten. In der ganzen Eile landet die Sexarbeit mit Zwangsprostitution und Menschenhandel in einem Topf. Aber wie soll das Thema auch vernünftig angesprochen werden, wenn die eine Prostituierte sehr unfreundlich ist und die andere kaum Deutsch spricht.
Natürlich hat man keine Zeit, das Thema differenziert zu betrachten, denn man muss ja noch ein Verbrechen aufklären. Der Mord gerät hier völlig in den Hintergrund, weil die Reeperbahn auch dann spannende Geschichten liefert, wenn niemand stirbt. Mit einem Tatort sollte man es vielleicht so handhaben, [3][wie mit einem Abend auf St. Pauli:] Am besten lässt man sich, statt von Ort zu Ort zu ziehen, auf eine Kneipe so richtig ein, sonst hat man am nächsten Morgen vergessen, was man eigentlich erlebt hat.
9 Feb 2020
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