taz.de -- Streit um Gas im Mittelmeer: Mehr Multilateralismus, bitte

Das Erdgas im Mittelmeer könnte ein Segen für alle sein, führt aber zum Streit. Ein bedeutendes Prinzip fehlt.
Bild: Dass diese beiden am Erdgas verdienen wollen, passt Erdogan überhaupt nicht

Wenn zwei Güterzüge auf eingleisiger Strecke aufeinander zufahren, dann sorgt ein Fahrdienstleiter dafür, dass einer von ihnen auf ein Nebengleis umgeleitet wird. Im Nahen Osten geht es aber nicht um Eisenbahnen, sondern um etwas viel Wertvolleres: um Erdgas, das unter dem Meeresgrund liegt. Mehrere Nationen wetteifern um das Recht, die Bodenschätze abbauen zu können.

Der Zug aus Zypern, Israel und Ägypten ist schon länger unterwegs. Diese Länder haben nun beschlossen, die wertvolle, vor ihren Staaten liegende Fracht mittels einer gemeinsamen Pipeline gen Europa zu pumpen. Das ist ambitioniert und teuer. Die Staaten sind sich sicher, dass sie rechtmäßiger Besitzer der Erdgasvorkommen sind.

Dagegen hat die Türkei einen eigenen Zug auf die Reise geschickt. Dort will man von Schürfrechen Zyperns nichts wissen, sondern beharrt darauf, das der infrage kommende Meeresboden zum eigenen Festlandsockel gehört. Um [1][diese juristisch eher schwache Position] zu stärken, hat Ankara ein Abkommen mit Libyen geschlossen, nach dem die Festlandsockel beider Länder aufgeteilt werden. Zwischen beiden Staaten aber liegt Zypern, das entsprechend leer ausginge.

Es gibt hier also einen Konflikt um natürliche Ressourcen, die eigentlich ein Segen für alle Beteiligten sein könnten, tatsächlich aber zwischenstaatliche Spannungen zur Folge haben, die bis zu einem Krieg führen könnten. Denn: Ein Fahrdienstleiter, der den Gasverkehr in Ordnung bringen könnte, ist nirgendwo in Sicht. Die USA sind schon länger nicht mehr in der Position, vermittelnd einzugreifen. [2][Die Türkei weist alle Bemühungen der EU zurück]. Zypern lehnt es ab, die Minderheit der Inseltürken am erhofften Geldsegen zu beteiligen. Und Ankara hat mit seinem Libyen-Abkommen nun dafür gesorgt, dass der Streit tatsächlich in dem nordafrikanischen Land militärisch eskalieren könnte.

In einer multilateralen Welt gäbe es Mittel, um den Gaskonflikt friedlich zu lösen. Doch diese Ordnung ist aus der Mode gekommen. Wir werden ihr noch nachweinen.

3 Jan 2020

LINKS

[1] /Griechen-und-Tuerken-im-Erdgas-Streit/!5648129
[2] /Tuerkische-Gasbohrungen-vor-Zypern/!5607090

AUTOREN

Klaus Hillenbrand

TAGS

Türkei
Erdgas
Israel
Libyen
Zypern
Schwerpunkt Türkei
fossile Energien

ARTIKEL ZUM THEMA

Kämpfe in Libyen: Erdoğans neuer Kriegsschauplatz

Die Türkei will dem Vorrücken von General Haftar in Libyen nicht länger zusehen. Erdoğan will nun auch Kampfpanzer in das Land schicken.

Neuer Kurs der EU-Investitionsbank: Europa steigt aus Gas aus

Aktivisten und NGOs feiern einen „Klimaerfolg“. Lange war Deutschland gegen einen Ausstieg der EU-Förderbank EIB aus fossilen Energieträgern.