taz.de -- Mietendeckel in Berlin: Ist der Deckel dicht genug?
Der Gesetzesentwurf zum Mietendeckel steht. Was bleibt übrig vom ursprünglichen Vorhaben? Und bringt dieser Mietendeckel jetzt überhaupt etwas?
Ja!
In der Euphorie beschwindelt man sich ja gern manchmal selbst. Und euphorisch waren viele, als ein Papier aus dem Haus von Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) an die Öffentlichkeit gelangt war, das extrem niedrige Mietobergenzen beinhaltete. [1][Großer Jubel bei Aktivistinnen und Aktivisten], Zeter und Mordio bei allen anderen.
Denn das wahrhaft Revolutionäre an Lompschers Vorschlag waren weniger die Werte, die sich am Mietspiegel von 2011 orientierten, als viel mehr die Möglichkeit für alle, ihre Miete, so sie über den Obergrenzen liegt, absenken zu dürfen. Wenn die Bezirksämter die Antragsflut bewältigt hätten, wäre dies die vielleicht größte Entlastung für Mieter gewesen, die eine westliche Metropole seit Langem gesehen hätte.
Allein die Absicht mag die Bausenatorin adeln. Doch all die, die eine Woche lang in Partylaune waren, haben geflissentlich übersehen, dass Berlin keine Links-links-Linken-Koalition hat, sondern von einem Dreierbündnis aus SPD, Linken und Grünen regiert wird. Deren gemeinsames Endergebnis ist abgeschwächt, dennoch ist es mutig und macht Mut.
Mut macht es, weil der Senat gezeigt hat, dass er handlungsfähig ist. Selbstverständlich war das nicht, denn das Thema Mietenpolitik hat inzwischen eine solche Sprengkraft, dass auch die Koalition daran scheitern könnte. Umso erstaunlicher ist es, wie geräuschlos sich die drei Partner auf einen Referentenentwurf geeinigt haben, der ab Montag mit den Wohnungs- und Mieterverbänden abgestimmt wird.
Mutig ist es, weil auch der Referentenentwurf noch ein Mietendeckel ist und kein Korken, der lose auf einer Proseccoflasche liegt. Zwar darf er nun, wie Lompscher sagt, etwas atmen. Das heißt, nur die, die wirklich in Not sind, sollen ihre Miete senken dürfen. Und auch leichte Mieterhöhungen sind erlaubt, wenn die Vermieter bislang fair waren oder in eine Notlage zu geraten drohen. Das wird vor allem die Genossenschaften freuen.
Doch trotz dieser Ausnahmen ist der Kompromiss, im Gegensatz zur Mietpreisbremse des Bundes, noch immer ein wirksames Instrument. Im Grunde implementiert er die Regelungen, die der Senat mit den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften getroffen hat, auf den gesamten Berliner Wohnungsbestand, Neubauten ausgenommen. Und: Ganz bestimmt ist dieser Kompromiss rechtssicherer als der revolutionäre Entwurf. Euphorie hin oder her. Uwe Rada
Nein!
Die Hysterie der materiell Bessergestellten hatte hoffnungsvoll gestimmt. Dass im Berliner Bürgertum (ob nun politisch grün oder schwarz, rot oder gelb gefärbt) wegen eines durchgestochenen Papiers zum Mietendeckel Panik ausbrach, wirkte wie eine Versicherung: dafür, dass das keine Symbolpolitik ist, sondern radikale Politik im Interesse der sozial Benachteiligten.
Mit der Ernüchterung für die Hoffenden folgte am Freitag aber auch die Erleichterung für die Hysteriker: Bausenatorin Katrin Lompscher stellte den überarbeiteten Entwurf vor, der die Mieten nicht mehr flächendeckend unter Obergrenzen senkt, sondern nur noch [2][eine Härtefallregelung für Mieter] mit geringen Einkommen kennt. Statt einer Absenkung der Mieten auf maximal 7,97 Euro pro Quadratmeter liegt die Obergrenze nun bei 9,80 Euro. Und ihre Miete absenken können – auf Antrag – nur die, die mehr als 30 Prozent ihres Einkommens dafür aufwenden. Vermieter dürfen – ohne Antrag – Modernisierungszuschläge von bis zu einem Euro pro Quadratmeter verlangen.
Solch ein Mietendeckel ist kein parteiischer im Sinne der Mieter mehr. Für viele Mieter wird der Weg zur Absenkung eine anstrengende, bürokratische Hürde werden, wenn sie sich im Wohnungsmarktdschungel überhaupt trauen, Vermieter zu konfrontieren.
Und warum liegt die Antragspflicht eigentlich bei den Mietern? Wäre es nicht gerechter und viel praktikabler, wenn die Vermieter Ausnahmen von Obergrenzen beantragen müssten? So ist der Mietendeckel einer, der diejenigen mit geringen Einkommen zu Bittstellern macht.
Auch im großen Ganzen wird dieser Mietendeckel weniger bewegen als zunächst erhofft: Der irrationale, profitorientierte Gang der Dinge auf dem Mietmarkt wird nur mäßig abgebremst werden. Das Mietpreisniveau, Pullfaktor für diejenigen, die mit Wohnraum Profite erzielen wollen, wird nicht so sinken wie zunächst erhofft. Außerdem – was für ein Euphemismus! – atmet der Deckel auch noch doppelt. Die großen Player werden also bleiben. Und sie kennen ihre Druckmittel gegen die Mieter – damit diese ja keine Mietabsenkung anstrengen.
Trotz alledem ist dieser Mietendeckel besser als gar kein Mietendeckel. Damit Wohnen aber einmal tatsächlich als Grundrecht und nicht als Ware gehandelt wird, wären Enteignungen wohl das bessere Mittel. Volkan Ağar
3 Sep 2019
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