taz.de -- Entlastung für Kinder Pflegebedürftiger: Für mehr Würde und Liebe

Wenn Eltern zum Pflegefall werden, sollte es um Würde für alle Beteiligten gehen. Doch Angst vor finanzieller Überlastung war bisher berechtigt.
Bild: Eltern zu pflegen ist schwer genug, da kann man nicht auch noch finanzielle Angst gebrauchen

Endlich mal wieder ein [1][gutes Signal in der Pflege]: Kinder pflegebedürftiger Eltern müssen künftig nicht mehr damit rechnen, durch die in professionelle Hände gegebene Betreuung von Mutter und Vater selbst arm zu werden. Oder Haus und Hof verkaufen zu müssen, um das Pflegeheim bezahlen zu können. Dafür sorgt ein Kabinettsbeschluss mit dem sperrigen Titel „Angehörigenentlastungsgesetz“.

Was so bürokratisch klingt, dürfte vielen Menschen helfen: Nur wer mehr als 100.000 Euro brutto im Jahr verdient, muss anteilig die Kosten für die pflegebedürftigen Eltern übernehmen, wenn diese selbst kein Geld haben. Bisher liegen die Einkommensgrenzen für Alleinstehende bei 21.600 Euro netto im Jahr und für Familien bei 38.800 Euro netto. Alles, was darüber verdient wurde, konnte draufgehen für Pflegekosten. Mit dem Resultat, dass viele alte kranke Menschen lieber einsam zu Hause vor sich hin vegetieren, statt sich in einer öffentlichen oder privaten Einrichtung professionell betreuen zu lassen. Sie wollen den Kindern „nicht auf der Tasche liegen“, sagen die Betroffenen.

Nun ist die Pflege gebrechlicher Eltern mitnichten allein eine monetäre Angelegenheit, aber sie wurde bislang stark darauf reduziert. Weil allein die Aussicht, im Pflegefall nicht nur persönlich, sondern vor allem finanziell gefordert zu sein, Angst machte. Dann wird schon mal hin und her gerechnet, worauf man in den kommenden Jahren verzichten kann und muss – um am Ende vielleicht das billigste Pflegeheim anzusteuern, auch wenn das einen schlechten Ruf hat.

Viele Angehörige sind auf Pflegeheime für die Eltern angewiesen, weil die meisten selbst voll berufstätig sind, manche haben noch kleine Kinder. Sie können die private Pflege zu Hause schon rein organisatorisch gar nicht leisten. Und – das ist nicht zu vernachlässigen – professionelle Pflege trägt maßgeblich zum Familienfrieden bei. Nichts kann ein Eltern-Kind-Verhältnis mehr belasten als eine Pflicht, die als lästig und undankbar empfunden wird. Mit den eigenen Eltern ist es eben anders als mit den eigenen Kindern: Kinder bekommt man in der Regel freiwillig, Eltern kann man sich nicht aussuchen. Und nicht wenige Menschen werden im Alter frustriert, traurig, starrsinnig, grantig. Wer hält das – bei aller Liebe – schon tagtäglich aus, ohne selbst zu verzweifeln?

Dass der Städte- und Gemeindebund vor den Millionen, die Kommunen zusätzlich aufgebürdet werden, warnt, war zu erwarten. Anderes ist man vom Spitzenverband nicht gewohnt. Aber es geht eben nicht ausschließlich um Geld, sondern in erster Linie [2][um Würde], Lebensqualität und Zufriedenheit – für die zu pflegenden Eltern und die pflegenden Angehörigen.

15 Aug 2019

LINKS

[1] /Kosten-der-Pflegebeduerftigkeit/!5583775
[2] /Simone-de-Beauvoir-und-Feminismus/!5609524

AUTOREN

Simone Schmollack

TAGS

Pflege
Altern
Soziale Gerechtigkeit
Pflege
Pflege
Alten- und Pflegeheime
Jean-Paul Sartre
Senioren

ARTIKEL ZUM THEMA

Altenpflege: Der Preis des langen Lebens

Pflegebedürftigkeit im Alter kostet und darf nicht zu einem persönlichen Schicksal werden. Ein Soli-Zuschlag könnte ein Ausweg sein.

Pflege von Angehörigen: Die doppelte Last

Angehörigenpflege zu Hause trifft Menschen mit niedrigen und mittleren Einkommen besonders hart. Ein Gutachten des Sozialverbands nennt Zahlen.

Freibetrag für Pflege von Angehörigen: Finanzielle Entlastung für Kinder

Das „Angehörigen-Entlastungsgesetz“ kommt: Erwachsene Kinder müssen in Zukunft kaum noch für pflegebedürftige Eltern zahlen.

Simone de Beauvoir und Feminismus: Fürsorge als Teil eines guten Lebens

Vor etwa 70 Jahren erschien „Das andere Geschlecht“ der Philosophin Simone de Beauvoir – mit weitreichenden Folgen. Heute ist ein Weiterdenken nötig.

Pflege arabischstämmiger SeniorInnen: „Eine arabische Diakonie“

In Berlin findet die bundesweit erste Tagung zur Pflege arabischstämmiger SeniorInnen statt. Höchste Zeit, sagt Nader Khalil vom Deutsch-Arabischen Zentrum.