taz.de -- Razzia in Berliner Hausprojekt: Die Irren von Friedrichshain

Erst flogen Steine und Farbbeutel. Dann hat die Polizei das Hausprojekt Liebig 34 durchsucht. Es spielen also alle ihre Rollen.
Bild: Bewohner*innen des Hausprojektes „Liebig 34“: Auch sie spielen ihre Rolle im Theaterstück

Linksradikale, Immobilienspekulanten, Polizei, CDU und (Springer-)Presse – die ProtagonistInnen dieses nie langweiligen Theaterstücks sind wieder auf der Bühne und auch der Ort der jüngsten Aufführung ist ein altbekannter: die [1][Liebigstraße 34]. Das linksradikale, queerfeministische Hausprojekt an der Ecke zur Rigaer Straße fiebert seinem Räumungsprozess am 20. September entgegen. Berlins Immobilienmogul Padovicz will aus dem Haus endlich den Maximalprofit pressen und daher die Linken loswerden – die reagieren darauf zunehmend nervös.

Wiederholt flogen in den vergangen Wochen Steine und Farbbeutel auf Polizeifahrzeuge. Aus den Stellungnahmen und Bekenntnissen der Autonomen lässt sich nihilistische Wut herauslesen – die Selbstwahrnehmung als Trutzburg in der „Stadt der Reichen“ –, aber auch die Verzweiflung darüber, dass wohl keine Lösung in Sicht ist, die ihnen ihr Zuhause erhält.

Auf die Angriffe reagierten die Polizisten am vergangenen Samstag mit einer [2][Razzia im Haus]. Dabei agierten sie nicht unbedingt als Werbeträger des korrekt agierenden demokratischen Rechtsstaates. Sie sollen Internetkabel durchschnitten, Netzwerktechnik entwendet, die Eingangstür zersägt und Privaträume durchsucht haben, für die es keinen Durchsuchungsbeschluss gab.

Die Polizei bestreitet all dies, aber schon in der Vergangenheit, [3][etwa bei einer Razzia in der Rigaer Straße 94], hatten sich Polizisten ausgetobt, Scherben in Betten verteilt oder eine Treppe zerkloppt. Dieses Mal wurden zudem massenweise DNA-Spuren gesammelt – eine Praxis, die rechtsstaatlich höchst fragwürdig ist.

Steinwürfe und Terrorismus

Polizei-Gewerkschafter Benjamin Jendro ist da weniger kritisch und spricht von „Terrorismus“, womit er allen Ernstes die Rigaer Straße und nicht die Serie von Morden und Mordversuchen durch Rechtsextreme meint. Dass ein Polizist vor einiger Zeit Drohbriefe an Bewohner der Rigaer Straße geschickt hatte, deren Daten er aus dem Polizeisystem gefischt hatte, gehört mit zu dieser schwierigen „Bearbeitung“ des Friedrichshainer Nordkiezes durch die Polizei.

In der B.Z., aber auch im Tagesspiegel wurde derweil zuletzt eine Weisung von Berlins Polizeipräsidentin Babara Slowik zum „Entscheidungsvorbehalt der Behördenleitung zum gewaltsamen Eindringen in linke Szeneobjekte“ zu einer „Kapitulation vor Linksextremisten“ verklärt, die es Polizisten verunmögliche, auf Gewalt zu reagieren.

Wie die Razzia am Samstag zeigte, ist das Gegenteil richtig: Die Polizei kann jederzeit agieren, die Klärung, wer vor Razzien zu kontaktieren ist, verschafft ihnen Rechtssicherheit. Dass Medien die Zurückhaltung des Senats kritisieren, spricht nicht für ihre Analysekompetenz, sondern zeigt Sensationsgeilheit.

Und wo alle Irren ihre Rollen spielen, ist die CDU nicht weit. Deren Fraktionschef im Abgeordnetenhaus forderte allen Ernstes, der Senat solle die Liebig34 kaufen, abreißen und das Gelände brachliegen lassen, bis sich die linke Szene aufgelöst habe. Großer Lacher. Vorhang zu. Fortsetzung folgt.

27 Jul 2019

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[1] /Raeumung-der-Liebig34-beantragt/!5561372
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Erik Peter

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