taz.de -- Die Wahrheit: Der Großvater im Trainingsanzug

Die Ähnlichkeit mit den Ahnen nimmt im Alter zu. Nur die Sache mit den Pudeln ist ein verblüffend neues Alleinstellungsmerkmal.

Allmählich sehe ich wie mein eigener Opa aus. Es sind gar nicht die fehlenden Haare – mein Opa hatte eine hohe Stirn, während es bei mir eher in Richtung Telly Savalas geht. Nein, es sind andere Dinge: die Vorliebe für karierte Hemden; die Vorliebe für denselben alternden Fußballverein, mit dem es ständig bergab geht; eine etwas peinliche Vorliebe für Schoßhunde; und das Hadern mit dem eigenen Gewicht.

Mein Großvater war 47, als ich geboren wurde. Also in meinem Alter jetzt. Da ich selbst keine Kinder habe, geschweige denn Enkel, kann ich nicht nachempfinden, was das für ihn bedeutet hat – er selbst war für mich bis zu seinem Tod immer gleich alt, nämlich 65. Er kam im Alter von 65 Jahren zur Welt, als ich geboren wurde, er ging mit 65 in Rente und er starb auch mit 65, obwohl er da bereits 82 war.

Mein Großvater war nicht eben ein Held, obwohl er im Krieg kämpfte, zweimal im Flugzeug über dem Meer abgeschossen wurde und sich schwimmend ans Ufer sowie auf ein Schiff rettete. Bei Kriegsende flüchtete er aus der amerikanischen Gefangenschaft bis kurz vor Hamburg, seiner Heimatstadt, wo man ihn aufgriff und kurzerhand zurück ins selbe Lager verfrachtete; beim zweiten Versuch blieb er im Rheinland, wo er Unterschlupf bei Kleinbauern fand, deren Tochter er dann heiratete.

Vielleicht war er doch ein Held. Einer des Wassers, schließlich rettete er nicht nur sich selbst, sondern auch anderen das Leben, zum Beispiel mal einer fast in der Adria ertrinkenden Französin. Er war ein Held des Paddelboots, das er zusammen mit mir viel zu weit hinaus fahren ließ, bis nahe an den Bohrturm, den die Italiener vor die Küste gestellt hatten, um etwas mitbohren zu können in Sachen Öl. Es waren die siebziger Jahre.

Und mein Großvater war ein Held des Angestelltendaseins in der rheinischen metallverarbeitenden Industrie, ehe er pünktlich zu Pensionsbeginn seine karierten Hemden und Stoffhosen endgültig gegen einen Trainingsanzug tauschte. Danach trug er nichts anderes mehr. Bequeme Trainingsanzüge bis zur Stunde seines Todes, ein Tod mit drei Streifen, den er, von einer Augen-OP rekonvaleszent, nicht kommen sah.

Mit den Augen hatte er es eh nicht so. Sein Kriegstrauma bestand darin, dass er jahrelang nur mit offenen Augen schlief. Im Alter konnte er lediglich mit einer panzerglasdicken Lupe lesen, bis auch das nicht mehr ging, danach beklagte er sich über Blutwände, die in sein Sichtfeld stiegen. Einmal besuchte er mich, unterwegs zur Kölner Uniklinik, in meiner WG, wo er in jedem Sinn Optik schob, über meine schönen Mitbewohnerinnen äußerte er sich noch später mit glänzenden Augen.

Jetzt sieht er sich die Welt schon lange von unten an, während ich meine Sammlung karierter Hemden aufstocke und gern von Pudeln erzähle, und sogar ein Leben im Trainingsanzug könnte ich mir inzwischen gut vorstellen. Die Jacke habe ich schon.

25 Jun 2019

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René Hamann

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