taz.de -- Die Wahrheit: Erbstreit mit Hausgeist
Familiengeschichten, wie man sie kennt, aber lieber nicht erlebt: Ist Oma weg, steht auch ihr Häuschen zur Disposition. Wohin aber mit dem Hausgeist?
Die Frage, die sich stellte, war: Reißt man ein Haus ab, verschwindet dann auch der Hausgeist? Und wenn ja, wohin irrt er? Schwebt er obdachlos durch die Welt, lungert er nachts verloren in U-Bahn-Stationen herum oder spukt er durch geschlossene Kaufhäuser? Oder ist er gar frei?
Schuld an der Frage war der Cousin. Nein, eigentlich der Onkel. Der Cousin wohnte auf der anderen Straßenseite und hatte eine Kamera. Der Onkel hatte das Haus geerbt. Seine Mutter, die auch die Mutter meines Vaters war, also meine Großmutter, war kürzlich gestorben. Mein Onkel hatte sich bis zuletzt um sie gekümmert, beziehungsweise ein von ihm bestellter Hilfsdienst mit Pflegekräften, und dann hatte er nach gewonnenem Erbstreit das Haus allein geerbt. Den Tinnef aus Keramik und Porzellan, den meine Oma noch zu aktiven Lebzeiten en masse hergestellt und überall hindrapiert hatte, hatte er noch zu ihren nicht mehr ganz so aktiven Lebzeiten, nämlich als sie bettlägerig geworden war, in einer Nacht- und Nebelaktion kurzerhand entsorgt. Also in einen großen Container geworfen. Dann hatte er die Katzen der Nachbarn vergiftet, und den Hund des Cousins, weil der morgens wegen des Zeitungsmanns immer so laut und lästig gekläfft hatte, wenn der Onkel noch schlafen wollte.
Jedenfalls war das die Geschichte, die der Cousin kolportierte. Ob das alles stimmte, konnte nicht mehr nachgeprüft werden, denn mein Vater hatte den Kontakt nach dem verlorenen Erbstreit abgebrochen und der Onkel dann auch.
Der Hausgeist wiederum war alteingesessen. Als Kind habe ich ihn nachts rauschen, rascheln und klopfen gehört auf dem ausgebauten Dachboden. Gut, das konnte auch die Autobahn sein, die nicht weit entfernt lag. Aber manchmal kam der Geist als mein Urgroßvater verkleidet in meinen Albträumen vor – obwohl ich den gar nicht gekannt hatte, denn der war schon gestorben, als ich drei war oder vier. Das Haus meiner Oma war wackelig und alt, ein schräges Kleinbauernhaus aus dem späten 19. Jahrhundert, das seltsam verschachtelt war und von dessen doppelten Böden ich noch Jahre später immer mal wieder träumte.
Schutt, Asche, Grund, Boden
Diese Träume sind inzwischen eingestellt, das Haus wurde abgerissen. Der Cousin von gegenüber schickte Fotos über WhatsApp vom Verlauf der Bauarbeiten, wenn auch in chronologisch falscher Reihenfolge: Auf dem ersten Bild sieht man eine plattgewalzte Brache; auf dem zweiten das alte Haus, tatsächlich relativ abbruchreif; auf dem dritten ein neues, das aus dem Nichts an der Stelle entstanden war, mit übrigens auffällig wenigen Vorderfenstern; auf dem vierten schließlich Bagger und Schutt und Lkw, die denselben abtransportierten.
Der Onkel hatte tatsächlich kurzen Prozess gemacht. Jetzt, wo seine Mutter einen halben Kilometer entfernt begraben war, hat er sich von seiner Vergangenheit befreit. Ja, er hat sie in Grund und Boden gestampft. Mitsamt Hausgeist.
17 Dec 2019
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