taz.de -- Mitmachkonzert auf Tempelhofer Feld: Nicht die Nachtigall, die Lerche

Mit einem sich im Schwarm findenden Konzert von Cellisten huldigt man am Himmelfahrtstag auf dem Tempelhofer Feld der Feldlerche.
Bild: Vogel des Jahres 2019, singefreudig, gern besungen: die Feldlerche

Das hat dem Tempelhofer Feld ganz bestimmt noch gefehlt: ein „Celloschwarm für die Feldlerche“, wie man ihn vom Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin (RSB) aus am symbolträchtigen Himmelfahrstag aufs ehemalige innerstädtische Flugfeld aussenden will. Warum machen die das? Weil die Feldlerche gerade brütet und man sie dabei unterstützend mit klassischer Musik berieseln will? Eher nicht. Sondern weil die Bodenbrüterin halt gerade „Vogel des Jahres“ beim Nabu und der Cellist Johannes Moser in diesem Jahr „Artist in Focus“ beim RSB ist und man auf diese Weise beides schön zusammen fokussieren kann.

Es ist eine Maßnahme unter mehreren, mit denen das RSB seiner Spielzeitpartnerschaft mit dem Naturschutzbund Deutschland organisatorisch Rechnung trägt. Als Saisonmotto hat man den Slogan „Der Mensch und sein Lebensraum“ erdacht und bietet vor manchen Konzerten Vogelstimmen-Spaziergänge mit Nabu-Experten an. Und den Moser schickt man halt nach Tempelhof.

Das Cello und die Lerche sind zwei Dinge, die man nicht auf Anhieb zusammendenken würde. Wenn das Cello ein Vogel wäre, so wäre es ja etwas im untersten Piepsegment des Tonspektrums. Aber was wohl? Ein Basstölpel? Wie klingt der? Gibt es überhaupt Vögel mit so tiefer Stimme? Das wäre was, das man die ExpertInnen vom Nabu fragen könnte, von dem es an dem Donnerstag einen kleinen Vortrag zur Feldlerche gibt. Letztlich aber geht es bei der Himmelfahrtsaktion weniger um die Vögel als um das Schwarmgefühl des Menschen.

Drei Stücke zu spielen

Teil des Schwarms werden dürfen alle, die ein Cello zu Hause stehen haben, auf dem sie ein bisschen spielen können, und Lust haben, sich vorher die Noten von den drei Stücken, die dann auf dem Feld auf dem Programm stehen, herunterzuladen und zu üben. Anmelden kann man sich bis Sonntag online.

Johannes Moser, der nicht nur als Solist unterwegs ist, sondern auch musikpädagogisch als Professor an der Kölner Musikhochschule wirkt, hat zu den drei Stücken als „Übungsvideo“ deklarierte Filmchen eingespielt. „Hallo, liebe Freunde vom Celloschwarm“, begrüßt er darin seine crowd. Mit fast vierzig Jahren ist Moser über das durchschnittliche Influencer-Alter zwar deutlich hinaus, was ihn aber nicht davon abhält, in gut gechillter YouTuber-Manier vor der Kamera zu plaudern: „Stell dir vor, durch das Tempelhofer Feld schweben Celloklänge. Und du spielst mit!“

Das ist einerseits – von der Klassikbranche aus betrachtet – freundlich unkonventionell und andererseits schon ein kleines bisschen auch zum Fremdschämen. „Ich würde sagen, wir legen jetzt einfach los!“ jedenfalls kann man wirklich nicht mehr sagen, nachdem diese Formel millionenfach in DIY-Videos mit der Aufforderung und Anleitung zum Brotbacken, Hula-Hoopen und Beanie-Häkeln verknüpft wurde.

Die drei zu übenden Stücke sind übrigens: die „Air“ von Bach (eine so oft missbrauchte Nummer, dass es auf eine Celloschwarmversion auch nicht mehr ankommt), das aus dem Musicalfilm „Der Zauberer von Oz“ her bekannte „Somewhere over the rainbow“ und der Tangoklassiker „La Cumparsita“ von Gerardo Matos Rodríguez.

Und der Lerchenbezug?

Bei dieser Auswahl drängt sich dann doch die Frage auf, wo denn da der Lerchenbezug bleibt. Wenn man schon für den Vogel aufs Feld ziehen will und die Lerche wohl – abgesehen von der Nachtigall – von allen Vogelarten den größten musikalischen Einfluss auf den Menschen ausgeübt hat, wäre es doch schön gewesen, ihr ein thematisch einschlägiges Ständchen zu bringen. Warum nicht eine Celloschwarm-Variante von „Horch, die Lerche singt im Hain“ aus Otto Nicolais „Die lustigen Weiber von Windsor“? Auch Tschaikowskys oder Mendelssohns „Lerchengesang“ hätten nahegelegen, eventuell auch Glinkas Lied „Die Lerche“ oder Haydns „Lerchenquartett“.

An Literatur mangelt es jedenfalls nicht, die die Marketingidee von dem Celloschwarm auch mit mehr Lerchenhaftem hätte füllen können. Seinen Spaß finden auf dem Feld aber kann man trotzdem.

Über die Musik der Heidelerche schrieb übrigens der große Vogelstimmen-Imitator Olivier Messiaen sehr schön: „Aus Himmelshöhen, dem Blick verborgen, spult die Lerche ihre Zwei-und-zwei-Melodien herunter, absteigende Tonfolgen aus lauter fließenden Halbtönen. Verborgen im Gebüsch oder aus Waldlichtungen heraus antwortet ihr die Nachtigall. Kontrast zwischen dem beißenden Tremolo der Nachtigall und jener mysteriösen Stimme aus der Höhe. Unsichtbar kommt die Lerche näher und entfernt sich wieder. Die Bäume und Felder sind schwarz und ruhig. Es ist Mitternacht.“

25 May 2019

AUTOREN

Katharina Granzin

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