taz.de -- ROG-Vertreter vor Gericht: Prozess gegen Önderoğlu vertagt

Erol Önderoğlu, Vertreter von Reporter ohne Grenzen, ist wegen „Terrorpropaganda“ angeklagt. Die Verhandlung wurde auf Juni vertagt.
Bild: Muss nicht zum Termin im Juni erscheinen – Erol Önderoğlu, Vertreter von Reporter ohne Grenzen

Istanbul taz | Unter großer Anteilnahme von Pressebeobachtern aus dem In- und Ausland ist die Urteilsverkündung im Prozess gegen den türkischen Vertreter von Reporter ohne Grenzen, [1][Erol Önderoğlu], am Montagvormittag vertagt worden. Önderoğlu ist gemeinsam mit der Vorsitzenden der türkischen Menschenrechtsstiftung, Şebnem Fincancı, und dem Autor Ahmet Nesin wegen „Terrorpropaganda“ angeklagt, weil er sich an einer Solidaritätsaktion für die mittlerweile [2][geschlossene kurdische Zeitung] Özgür Gündem beteiligt hatte.

Anders als in früheren Politverfahren war die Atmosphäre im Gerichtssaal am Montag recht entspannt. Erol Önderoğlu konnte, ohne unterbrochen zu werden, eine sehr politische Verteidigungserklärung abgeben. In dieser hat er auf die weltweite Arbeit von Reporter ohne Grenzen und die Verteidigung der Pressefreiheit hingewiesen und gleichzeitig das Recht auf eine freie Presse auch für Publikationen wie Özgür Gündem reklamiert. Aus diesem Grund habe er wie viele andere auch im Rahmen einer Solidaritätskampagne für einen Tag symbolisch die Chefredaktion bei Özgür Gündem übernommen.

Sein Anwalt ergänzte, dass der Hauptprozess gegen ehemalige Redakteure, Herausgeber und Journalisten von Özgür Gündem, die im Herbst 2016 wegen [3][angeblicher Zusammenarbeit mit der PKK] geschlossen wurde, ja noch gar nicht begonnen habe, weshalb auch sein Mandant eigentlich nicht angeklagt werden könne, bis in dem Hauptverfahren ein Urteil gefallen sei. Das wies der Richter zwar zurück, aber er ließ klar erkennen, dass Erol Önderoğlu mit einem Freispruch oder aber einer Bewährungsstrafe rechnen kann. Er brauche, so der Richter, zum abschließenden Prozesstag im Juli nicht mehr zu erscheinen.

Vertagt wurde der Prozess auf Antrag von Şebnem Fincancı, weil ihre Verteidigerin überraschend schwer erkrankt ist und seit drei Tagen im Krankenhaus liegt. Der dritte Angeklagte, Ahmet Nesin, war gar nicht erschienen, weil er im Ausland lebt.

Am 8. Mai beginnt auch der Prozess gegen die Mitarbeiter von Özgür Gündem. Die Prozesse laufen ebenfalls gegen die Zeitung Sözcü, gegen die nach dem Putschversuch geschlossene Tageszeitung Taraf, gegen Enis Berberoğlu und Erdem Gül wegen ihrer Artikel in Cumhuriyet und etliche weitere türkische Journalisten.

15 Apr 2019

LINKS

[1] /RoG-Vertreter-zu-tuerkischen-Ermittlungen/!5446276
[2] /Erdoans-Saeuberungen-in-der-Tuerkei/!5331037
[3] /Tuerkisch-kurdische-Zeitung-in-Istanbul/!5315703

AUTOREN

Jürgen Gottschlich

TAGS

Schwerpunkt Türkei
Türkei
Schwerpunkt Pressefreiheit
Reporter ohne Grenzen
Justiz
taz.gazete
Türkei
Präsidentschaftswahl in der Türkei
taz.gazete
Türkei
Türkei
Schwerpunkt Pressefreiheit
Pressefreiheit in der Türkei
Pressefreiheit in der Türkei
Lesestück Recherche und Reportage

ARTIKEL ZUM THEMA

Pressefreiheit in der Türkei: Erol Önderoğlu freigesprochen

Angeblicher Terrorverdacht: Drei Jahre lang war das Verfahren gegen Journalist*innen und Aktivist*innen in der Schwebe.

Pressefreiheit in der Türkei: Erol Önderoğlu freigesprochen

Angeblicher Terrorverdacht: Drei Jahre lang war das Verfahren gegen Journalist*innen und Aktivist*innen in der Schwebe.

Unliebsame Berichterstattung: Die lange Nase der AKP

Die Staatsanwaltschaft in Ankara ermittelt gegen eine Hamburger Journalistin. In Deutschland nimmt die Solidarität mit Erdoğan-Kritikern ab.

Urteil gegen Ex-“Cumhuriyet“-Mitarbeiter: Die neue Meinungsfreiheit

Mitarbeiter der Zeitung müssen wieder ins Gefängnis. Damit wird der Druck auf die demokratischen Kräfte der Türkei aufrecht erhalten.

Urteil gegen Ex-„Cumhuriyet“-Mitarbeiter: Angst erzeugen

Mitarbeiter der Zeitung müssen wieder ins Gefängnis. Damit wird der Druck auf die demokratischen Kräfte der Türkei aufrecht erhalten.

Urteil gegen Ex-„Cumhuriyet“-Mitarbeiter: Journalisten im Knast

Frühere Mitarbeiter der regierungskritischen Zeitung müssen nach einem aktuellen Urteil Haftstrafen antreten. Ihnen wird ihre journalistische Arbeit vorgeworfen.

Rangliste der Pressefreiheit 2019: Journalisten arbeiten in Angst

„Reporter ohne Grenzen“ beurteilt die Lage der Presseschaffenden weltweit. In vielen Ländern Europas und in den USA hat sich die Lage deutlich verschlechtert.

RoG-Vertreter zu türkischen Ermittlungen: „Exil ist für mich keine Option“

Erol Önderoğlu ist der türkische Vertreter von Reporter ohne Grenzen. Nun wird er selbst der „Propaganda für eine Terrororganisation“ beschuldigt.

Erdoğans „Säuberungen“ in der Türkei: Weitere 2.000 Polizisten entlassen

Auch hunderte Militärs und Staatsbeamte sind ihren Job los. Zudem wurde die Schließung der pro-kurdischen Zeitung „Özgür Gündem“ angeordnet.

Türkisch-kurdische Zeitung in Istanbul: Jeden Tag ein Kampf ums Leben

Özgür Gündem ist die einzige türkisch-kurdische Zeitung. Wer für sie schreibt, muss täglich mit einer Festnahme oder Anklage rechnen.