taz.de -- Dinge des Jahres 2018: Mit Emojis gegen die Zensur in China

Darf Pu der Bär in den Honigtopf greifen, oder gibt es dann in China eine Revolution? Und was hat ein Reishase damit zu tun? Eine Übersetzung.
Bild: #MeToo in China: Ein Reishase hilft, die Zensur auszutricksen

Manche Dinge des Jahres 2018 sind nicht wirklich anfassbar, sie sind digital. Zum Beispiel Emojis. Die sind zwar an sich nichts Neues, ihr Potential für soziale Bewegungen im von Zensur geplagten chinesischen Internet aber schon.

Seit fast zehn Jahren machen sich InternetnutzerInnen die chinesische Sprache zunutze, um spielerisch Kritik an der Parteiführung in Beijing zu üben, oder auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen. Dafür verwenden sie zum Beispiel Memes, also Bildcollagen, die zusammen mit Wortspielen oft humoristisch und gleichzeitig politisch-kritisch daherkommen.

Als [1][der Hashtag #metoo] im vergangenen Jahr weltweit bekannt wurde, entstanden bald auch chinesische Ableger, die auch auf dem Mikroblogging-Dienst Weibo geteilt wurden. Anders als in den USA kamen dabei in China weniger Skandale aus dem Showbusiness ans Licht – #metoo stieß vor allem einen Diskurs über [2][sexuelle Übergriffe an Universitäten] an. Entgegen vieler Annahmen wurden die chinesischen Hashtags (#woyeshi, #metooinchina und #mituzaizhongguo) und die Diskussion um sexuelle Belästigung in China nicht sofort von den Behörden zensiert. Sogar die parteinahe Zeitung People's Daily beteiligte sich zunächst an einer Kampagne, die Betroffene am 12. Januar dazu aufforderte, ihre Geschichten öffentlich zu machen.

Doch schon fünf Tage später wurde der Hashtag [3][#MeTooInChina] für einen Monat auf Weibo blockiert. Für feministische Bewegungen in China sind die Zeiten also alles andere als rosig: Ausgerechnet am 8. März, dem Weltfrauentag, zensierten die Behörden den Social-Media-Account von „Feminist Voices“, der bekanntesten feministischen Initiative des Landes. Zuvor hatten die AktivistInnen eine Kampagne gegen sexuelle Belästigung unterstützt.

Kreative Wortspiele gegen Zensur

Die chinesische Sprache eröffnet allerdings kreative Möglichkeiten für Wortspiele. Das liegt daran, dass es immer viele Bedeutungen für einen Laut gibt. So lässt sich das englische „me too“ zunächst phonetisch ins Pinyin, das Transkriptionssystem für chinesische Schriftzeichen, übertragen. „Mi tu“ lautet die Phrase dann. Die Silbe mi kann nun in fünf verschiedenen Tönen ausgeprochen werden. Dabei kann jedes mi wiederum vieles bedeuten – eindeutig sind nur die einzelnen Schriftzeichen, nicht der isolierte Laut für sich.

Allein im Chinesisch-Deutschen Wörterbuch finden sich 26 Einträge für die Silbe, die zum Beispiel Honig, Geheimnis, feine Seide oder eben auch Reis bedeuten kann. Genauso verhält es sich wiederum mit der Silbe tu – und eine Bedeutung von tu ist eben: Hase.

Zusammen wird daraus also mitu, der Reishase, der versuchen kann die chinesischen Zensurbehörden auszutricksen, indem er einfach mithilfe von Emojis durch eine gefüllte Reisschale und einen Häschenkopf abgebildet wird, unter dem dann über sexuelle Belästigung diskutiert werden kann.

Es gibt noch andere politisch aufgeladene Tiere. Ähnlich berühmt und immer wieder Zielscheibe der Zensurbehörden ist mittlerweile übrigens auch das Bärchen-Emoji. Seit 2013 wird Staatsoberhaupt Xi Jinping nämlich in Memes als Winnie the Pooh dargestellt – zum Beispiel in Begleitung von Barack Obama als Tigger.

Zuletzt ging ein Bild im chinesischen Teil des Netzes herum, auf dem Winnie einen großen Topf Honig umarmt. „Finde das, was du liebst, und lass es nie wieder los“, postete ein User sinngemäß mit der Illustration. Eine Anspielung darauf, dass Xi im März seine Amtszeitbeschränkung aufgehoben hatte und so de facto auf Lebenszeit Präsident bleiben kann.

28 Dec 2018

LINKS

[1] /Schwerpunkt-metoo/!t5455381
[2] /MeToo-in-China/!5484678
[3] https://twitter.com/hashtag/MetooinChina?src=hash

AUTOREN

Lin Hierse

TAGS

Schwerpunkt #metoo
China
Weibo
Emojis
Zensur
Dinge des Jahres 2018
Emojis
Emojis
Emojis
Schwerpunkt Meta
Quiz
Oscars
35c3
Schwerpunkt #metoo
China

ARTIKEL ZUM THEMA

117 neue Emojis: Aber was willst du denn? 🤔

Erleichtern Emojis die Kommunikation? Nicht wirklich. Die Bildchen liefern nur noch mehr Möglichkeiten, einander falsch zu verstehen.

Mehr Vielfalt unter den Emojis: Endlich seht ihr uns ähnlich!

Die neuen Chat-Symbole zeigen behinderte und nicht-binäre Menschen, aber auch Alltagsobjekte aus Asien. Davon können wir nicht genug kriegen.

Unicode-Konsortium stellt neue Emojis vor: Banjo, Axt und Beinprothese

Insgesamt 230 neue Symbole werden in diesem Jahr dem Emoji-Katalog hinzugefügt. Darunter befinden sich viele, die Vielfalt und Inklusion darstellen sollen.

Klimakritik in der #10YearChallenge: Hashtag lässt die Erde alt aussehen

Es gibt einen neuen Netztrend. Neben der üblichen Selbstbeweihräucherung geht es dieses Mal aber auch um die Auswirkungen des Klimawandels.

Quiz Vernetzte Alltagsgegenstände: Und das gibt’s echt?

Smarte Schuhe, elektronische Babysitter, vernetzte Eierbecher? Das Internet der Dinge hält viele Überraschungen bereit. Ein Quiz.

Dinge des Jahres 2018: Fast ein Oscar

Rachel Morrison ist die erste Kamerafrau, die je für einen Oscar nominiert wurde. 2018 hat sie ihn nicht bekommen, aber sie bleibt dran.

Chinas Social Scoring beim #35C3: Eine gute Portion Unübersichtlichkeit

Chinas geplantes System für soziale Überwachung ist nicht so ausgefeilt, wie es scheint. Eine Forscherin klärt beim #35C3 über die Schwächen auf.

Ein Jahr #MeToo: Richtig laut geworden

Vor einem Jahr wurde die Affäre um den US-Produzenten Harvey Weinstein bekannt – und der Hashtag #MeToo groß. Was ist seitdem passiert?

#MeToo in China: Die Reis-Hasen-Bewegung

Der chinesische Harvey Weinstein ist ein renommierter Hochschulprofessor. Erst hat die Regierung den Protest unterstützt. Nun wird er ihr zu groß.