taz.de -- Dokumentarfilm über João Gilberto: Die Sehnsucht, die alles treibt
Der Dokumentarfilm „Wo bist du, João Gilberto?“ erzählt vom Erfinder des Bossa Nova. Zugleich ist er auch Zeugnis einer feinfühligen Recherche.
Keine Frage ohne den, der sie stellt. Keine Suche ohne die, die sucht. So weit, so klar. Jedes Rätsel braucht die Rätselnden. Im Fall eines Mannes mit dem schönen Namen João Gilberto (nuscheln und es wird richtig) pflegt eine ganze Nation das Rätsel und das mit liebevoller Lust und kindlicher Freude, wie neulich an einem Abend in der brasilianischen Botschaft in Berlin zu erleben war. Ein voller Saal, eng besetzt, überwiegend Brasilianer, ich saß mittendrin.
In dem vorgeführten Dokumentarfilm geht es um den Mann, der den Bossa Nova (mit)erfunden hat. Musik aus Brasilien war immer nur Samba gewesen, João Gilberto machte daraus Ende der 1950er Jahre, im Badezimmer seiner Schwester (wegen der Akustik), eine neue Welle, den Bossa Nova. Das ist langsameres Gitarrenspiel, mit mehrdeutigen Texten. Der Effekt: eine nicht ganz so drückende brasilianische Melancholia, die auflodert im Licht der ewigen Sonne.
Ihr Schöpfer jedoch zieht die Dunkelheit vor, seit Jahrzehnten meidet João Gilberto die Öffentlichkeit. Schriller gesagt: Gilberto versteckt sich seit Jahren in seinem Apartment in Rio de Janeiro, hochdepressiv. Er schläft am Tag und lebt in der Nacht, er spricht nur mit seinen Katzen, er ist verrückt. So ranken sich die Legenden, so wird die Sehnsucht stark, und die Neugier auch.
Auf der Leinwand zu sehen ist der Schweizer Filmemacher George Gachot, aufgewachsen in Paris, nach mehreren Filmen über brasilianische Musiker ausgewiesener Experte. Er macht sich in Rio auf die Suche, er trifft den Frisör, der Gilberto angeblich die Haare geschnitten hat, den Koch, bei dem er telefonisch sein Steak bestellt, die Exfrau, die vielleicht einen Kontakt herstellen kann. Es ist ein skurriler Reigen an Schelmen. Der Sog Berühmtheit, geht es darum? Sowieso schwebt die Frage im Raum: Soll jemand, der wie der Schriftsteller J. D. Salinger nicht gefunden werden möchte, gefunden werden?
Die Suche, die auf einer Suche basiert
Gachots Recherche wird von einem Buch begleitet, denn diese Suche basiert auf einer Suche. Im Frühjahr 2012 war „Hobalala: Auf der Suche nach João Gilberto“ von dem deutschen Journalisten und Schriftsteller Marc Fischer erschienen. Auch er war damals nach Brasilien gereist, um Gilberto aufzustöbern. Getroffen hat er ihn nicht, gefunden aber doch, das erzählt dieses herausragende Buch, da lebte Marc Fischer schon nicht mehr, tragisch, viel zu jung 2011 mit 40 verstorben.
In dem Film ist jetzt erstaunlich viel von Marc Fischer zu sehen. Gachot konnte Fischers Rechercheunterlagen verwenden. Im Bild: Die erste E-Mail von punkmarc@aol.com; Ja, eine laute Adresse hatte er, aber das war Spaß und Tarnung, denke ich. Fischer war mit fünf Wochen Zeit nach Rio gekommen, hatte sich in eine WG eingemietet und war die Sache wie ein Rätsel angegangen.
Er nahm sich Hilfe, eine portugiesisch sprechende Rechercheurin, eine Watson für Sherlock. Gachot stellt sie vor, zeigt Fischers Notizen, zeigt seine Fotos, zu hören ist seine Stimme, aufgenommen mit dem iPod. So wird aus dem Puzzle ein Bild.
Zu dem berührenden Porträt von Marc Fischers Arbeitsweise aber wird der Film, weil Gachot viele der Menschen aufsucht, die auch Marc Fischer aufgesucht hatte, und diese erzählen nun über den Reporter aus Deutschland. Dabei offenbart sich, wie er es gemacht hat, mit Liebe, und mit Standbein und Spielbein. Nicht eine Geschichte jagen (oder gar einen Menschen), sondern sich auf Situationen und Charaktere einlassen, sich und den anderen mit Respekt begegnen, das ist sein ganze Geheimnis.
Schließlich erscheint der Reporter in seiner eigenen Videoaufnahme, im Bademantel, für einige Nächte in einem teureren Hotel, im Augenblick mutlos, was die Story anging. Aber Rückschläge und Traurigkeit gehören dazu. Daraus wurde ein großartiges Buch, und jetzt ein feiner Film über die Sehnsucht, die alles treibt.
22 Nov 2018
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