taz.de -- Experte über Aufmarsch am 3. Oktober: „Ähnliches Spektrum wie in Chemnitz“

Zum Tag der deutschen Einheit wollen Rechtsextreme durch Berlin ziehen. Ulf Bünermann von der Mobilen Beratung über den geplanten Aufmarsch.
Bild: „Wir für Deutschland“-Demonstration im September 2017

taz: Herr Bünermann, zum Tag der Deutschen Einheit am Mittwoch will die Organisation „Wir für Deutschland“ mit 1000 Teilnehmern in Mitte demonstrieren. Es ist die erste rechtsextreme Demonstration in Berlin nach den Ereignissen von Chemnitz und Köthen – erwarten Sie einen Effekt für die Mobilisierung?

Ulf Bünermann: Es gibt zumindest Faktoren, die dafür sprechen: Der Brandenburger Kay Hönicke hat auch bei den Neonazi-Protesten in Chemnitz für den Aufmarsch in Berlin geworben. Auch das Spektrum, das „Wir für Deutschland“ normalerweise mobilisiert – ein Sammelsurium verschiedener rechtsextremer Strömungen mit Überschneidungen zur Hooliganszene – hat Ähnlichkeiten mit dem, was wir in Chemnitz und Köthen auf der Straße gesehen haben.

Der Berliner Aufmarsch könnte also von den jüngsten rechtsextremen Erfolgen in Sachsen profitieren?

Tendenziell schon, es gibt aber auch Umstände, die dagegen sprechen: Die flüchtlingsfeindliche Initiative „Zukunft Heimat“ aus Cottbus wird am Mittwoch einen eigenen Aufmarsch veranstalten, gerade für Brandenburger Neonazis könnte das der attraktivere Termin sein. Schließlich ist Berlin eben auch ganz und gar nicht Chemnitz: Das ist hier ein eher unbequemer Ort für Rechtsextreme, gerade auch was die mehr oder weniger stille Unterstützung von Passanten und Anwohner_innen angeht. Es ist für die Rechtsextremen viel schwieriger, hier öffentliche Orte widerspruchslos zu besetzen.

Gleichzeitig ist Berlin als Hauptstadt aber gerade auch attraktiv – gerade „Wir für Deutschland“ nutzt immer wieder die Symbolkraft, sich am Hauptbahnhof, vor dem Kanzleramt oder am Brandenburger Tor zu versammeln.

Ja, diese Attraktivität der Bilder, die dort produziert werden können, erklärt auch die Langlebigkeit dieser Proteste. Es hat natürlich seinen Reiz, diese „Merkel muss weg“-Haltung in der Hauptstadt auf die Straße zu bringen.

Aus welchen Strömungen besteht denn das „Sammelsurium“ der Demonstrationen von „Wir für Deutschland“, von dem Sie vorhin sprachen?

Da ist vieles dabei: Neonazis von der Organisation „Der dritte Weg“, die ganz klare Anleihen beim historischen Nationalsozialismus nehmen, Mitglieder der sogenannten Identitären Bewegung, die genau das vermeidet, Reichsbürger, die schon angesprochenen rechtsextremen Hooligans, auch Mitglieder des rechten Rands der AfD.

Anders als zuletzt in Chemnitz gibt es in Berlin allerdings bislang keine offizielle Zusammenarbeit zwischen AfD und rechtsextremen Straßenmobilisierungen. Könnte sich das ändern?

Nein, davon gehe ich nicht aus, auch wenn die Berliner AfD dabei durchaus heterogen auftritt. Auf der einen Seite nehmen einzelne Vertreter_innen und Funktionäre der AfD immer wieder an rechtsextremen Aufmärschen teil. Auf der anderen Seite fährt der Berliner AfD-Landeschef Georg Pazderski einen auf Seriösität augerichteten Kurs, mit dem Fokus auf Regierungsfähigkeit. Dem würde eine solche offene Zusammenarbeit diametral entgegenstehen, deshalb ist nicht zu erwarten, dass sich das ändert.

Über erstarkenden Rechtsextremismus wurde zuletzt vor allem mit Blick auf Sachsen diskutiert. In Berlin gibt es regelmäßig rechte Aufmärsche, die Neuköllner Anschlagserie und mit dem Heß-Aufmarsch im Sommer möglicherweise das neue zentrale Ereignis der klassischen Neonazi-Szene. Ist die Stadt gar nicht so immun gegen Rechtsextremismus, wie oft behauptet wird?

Die Unterscheide zwischen Berlin und Sachsen sind natürlich offensichtlich. Dennoch denke ich auch, dass man auch solche Aufmärsche in Berlin nicht herunterspielen sollte. Rechtsextreme Veranstaltungen haben immer auch einen Effekt über den jeweiligen Tag hinaus, in dem sie Menschen mit rechtsextremen und rassistischen Einstellungen ermutigen, diese Einstellungen offen und auch gewalttätig auszuleben. Solche Aufmärsche sind daher ein Mosaikstein bei dem Versuch, bestimmte Werte und Rechte grundsätzlich in Frage zu stellen – und das gibt es eben nicht nur in Sachsen.

2 Oct 2018

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Malene Gürgen

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