taz.de -- Diskussion über Hartz IV: „Soziale Gerechtigkeit zurückgeben“

Michael Müller diskutiert in Moabit mit Arbeitslosen über die Abschaffung von Hartz IV und seine Idee eines „solidarischen Grundeinkommens“.
Bild: Michael Müller wirbt seit einem Jahr für seine Idee einer öffentlichen Beschäftigung

Es hätte für Michael Müller (SPD) ein Heimspiel werden können. Der Regierende Bürgermeister kam am Montagabend in die Reformationskirche in der Beusselstraße in Moabit, um über das Thema „Hartz IV überwinden“ und seine Ideen für ein „solidarisches Grundeinkommen“ zu diskutieren. Im voll besetzten Kirchenschiff waren auch viele, die selbst Hartz IV beziehen. Müllers Konzept will Arbeitslosen ein Angebot machen. Doch im Publikum gab es auch kritische Stimmen.

Seit Herbst 2017 macht sich Müller stark für seine Idee eines „solidarischen Grundeinkommens“, wie er es nennt. Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen hat das Modell nichts zu tun, es ähnelt eher einem öffentlich geförderten Beschäftigungssektor, wie es ihn in Berlin unter Rot-Rot schon mal gab. Müller will, dass Langzeitarbeitslose gemeinnützige Jobs verrichten. Die Hartz-IV-Gelder sollen dafür verwendet und vom Staat aufgestockt werden.

„Für die Hartz-Gesetze hat es nie eine gesellschaftliche Akzeptanz gegeben“, sagte Müller. Er wolle den Menschen keine kurzfristigen Maßnahmen, sondern Jobs mit Perspektive bieten. „Hartz IV werden wir nicht von heute auf morgen abschaffen. Aber man muss mal irgendwo anfangen.“

Das Bundeskabinett hat im Juli eine neue Förderung für Langzeitarbeitslose beschlossen und will dafür insgesamt vier Milliarden Euro einsetzen. Wer sieben Jahre ohne Job ist, kann demnach auf eine Stelle mit einem staatlichen Zuschuss von bis zu fünf Jahren Dauer hoffen. Müller plant aber vor allem den Erwerbslosen einen öffentlich geförderten Job anzubieten, die nach einem Jahr Arbeitslosengeld in Hartz IV fallen. „Wir wollen ihnen die soziale Gerechtigkeit zurückgeben.“ Es sei zudem ein großer Unterschied, ob man sich „aus einer Arbeit bei einem kommunalen Unternehmen heraus bewerbe oder aus der Arbeitslosigkeit“, sagte Müller.

Der Senat verhandle deshalb mit dem Bundesarbeitsministerium eine „Öffnungsklausel“, die auch die Beschäftigung von Menschen ermögliche, die kürzer arbeitslos seien. In einem Berliner Pilotprojekt, das im ersten Halbjahr 2019 starten könnte, sollen rund 4.000 gemeinnützige Jobs entstehen. Wenn der Bund sie nicht mitfinanziere, könnten es aber auch weniger sein, sagte Müller. Die Menschen sollen als Mobilitätshelfer, als Integrationslotsen oder als Hilfen bei kommunalen Wohnungsbaugesellschaften arbeiten. Dabei handele es sich um „einfache Tätigkeiten“ mit einem Stundenlohn von zehn bis zwölf Euro, sagte Müller.

Das blieb nicht ohne Widerspruch. Was passiere mit denen, die schon lange im System seien?, fragte Barbara Eschen, Sprecherin der Nationalen Armutskonferenz, die mit Müller auf dem Podium saß. Man müsse aufpassen, dass es sich nicht anhöre, „als hätten wir die schon abgeschrieben“. In den vergangenen Jahren gebe es immer wieder das Muster: „Wir nehmen die, die wir schneller wieder in den Arbeitsmarkt kriegen, der Rest fällt hinten runter“, so Eschen.

Eine Frau aus dem Publikum bezeichnete es als „unverschämt“, dass Müller Arbeitslose nach einem Jahr zu „Hilfsarbeitern herunterstufen“ wolle. Sie rief: „Auch Langzeitarbeitslose haben Qualifikationen.“ Um Herabstufung gehe es ihm nicht, erwiderte Müller. Er wolle den Menschen ja sogar schneller helfen – bereits nach einem Jahr Arbeitslosigkeit.

Müller, derzeit auch Bundesratspräsident, erneuerte am Dienstag seine Forderung, bei Hartz IV die Sanktionen für Kinder und Jugendliche abzuschaffen. „Das kommt in dieser Legislaturperiode, davon bin ich überzeugt“, sagte Müller – vorausgesetzt, die CDU stelle sich nicht quer. Bei diesem Thema hatte Müller das Publikum dann doch hinter sich.

18 Sep 2018

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Antje Lang-Lendorff

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