taz.de -- Prüfung der Bremer Asyl-Entscheidungen: Ausgebamft

Nur ein Bruchteil der Entscheidungen in der sogenannten Bamf-Affäre muss zurückgenommen werden. Was ist noch übrig vom Skandal?
Bild: In Algeciras warten Geflüchtete, die aus Seenot gerettet wurden. In Bremen wird die Arbeit des Bamf skandalisiert

Bremen taz | Von Unrecht und Skandal ist beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) nicht mehr viel übrig: 4.500 Akten hat die Innenrevision bislang in einem ersten Durchgang untersucht, wie die Behörde der taz bestätigte. Bei diesen Fällen prüft die Revision intensiver, ob eine Rücknahme oder ein Widerruf geboten ist. Gerade einmal 13 Asylentscheidungen sind bislang aufgrund falscher Angaben kassiert worden, wie aus einer [1][Frage der Linke-Abgeordneten Ulla Jelpke im Bundestag hervorgeht]. Vier weitere wurden widerrufen, bei 16 liefen noch [2][Rücknahme- und Widerrufsverfahren].

Wobei Widerruf nicht einmal heißt, dass irgendetwas „zu Unrecht“ gewährt worden wäre, sondern nur, dass sich inzwischen die Rechtslage geändert hat, weil es beispielsweise im Herkunftsland sicherer geworden sei. Wie viele der 4.500 Akten bereits abschließend geprüft wurden, ist unklar, offiziell unbestätigt soll es sich um eine Zahl im höheren dreistelligen Bereich handeln – ergibt also 13 Rücknahmen auf wenigstens 501 Fälle, das entspricht gerade einmal 2 Prozent.

Das ist für eine Behörde keine schlechte Quote, vor allem, wenn man sich anschaut, wie überbelastet die Außenstellen des Bamfs 2015 waren.

Für alle, die sich überhaupt nicht mehr an den Bamf-Skandal erinnern: Mitte April skandalisierten Medien, dass es in der Bremer Außenstelle der Behörde positive Asylbescheide ohne rechtliche Grundlage gegeben haben soll. Die ehemalige Leiterin Ulrike B. habe in Zusammenarbeit mit drei Anwälten in mindestens 1.200 Fällen unrechtmäßig Asyl erteilt. Die Staatsanwaltschaft ermittele auch wegen Korruption. Ganze Busladungen von Asylbewerbern seien nach Bremen gebracht worden, um dort entscheiden zu lassen.

Nur noch wenig übrig

Schon Anfang Juni war davon wenig übrig: Ein interner Bericht der interimsmäßigen Behördenleiterin FDP-Politikerin Josefa Schmid war fehlerhaft. Aus „3.332 unzulässigerweise in Bremen bearbeiteten Asylanträgen“ wurden 578 Asylentscheidungen, die möglicherweise widerrufen werden müssen – aber nicht, weil sie falsch sind, sondern weil die Rechtslage sich geändert hat. Ulrike B. bestreitet über ihren Anwalt die Vorwürfe, von Korruption könne keine Rede sein.

Dass in Bremen Entscheidungen für andere Außenstellen getroffen wurden, war 2015 angesichts der Überlastung der Behörde vollkommen normal und von den Behördenchefs gewollt. Bremen sollte dem Umland helfen. Busse dafür hatte etwa die Stadt Cuxhaven bestellt. Zuständig war Bremen auch für Fälle aus den niedersächsischen Landkreisen Verden und Osterholz-Scharmbeck, wie aus Dokumenten des Bamf und der [3][Antwort auf eine Landtags-Anfrage], die der taz vorliegen, hervorgeht.

In vielen der Fälle ging es um Jesid*innen, die 2015 angesichts des drohenden Genozids durch den IS bundesweit eine hohe Schutzquote hatten. Für diese Personengruppen waren daher verkürzte Verfahren vorgesehen – auch das war eine Anweisung der Leitung der Bundesbehörde.

Negative Bescheide sind kein Skandal

Die Bremer Außenstelle des Bamf wurde nach Bekanntwerden der „Affäre“ sofort geschlossen, zahlreiche Ermittler sichten bis heute auf Druck des Innenministeriums positive Asylbescheide seit dem Jahr 2000. Negative Asylbescheide werden nur stichprobenartig geprüft, obwohl diese deutlich häufiger auftreten und zuletzt [4][fast jede zweite Klage gegen eine Ablehnung Erfolg hatte]. Das allerdings wird nicht skandalisiert.

In der Gesamtschau kritisiert die Linken-Abgeordnete Jelpke dann auch folgerichtig, dass nun Schluss sein müsse mit dem Gerede über einen angeblich großen Bamf-Skandal.

Unterm Strich bleibt mediales Versagen: ein [5][Recherchenetzwerk, das nicht recherchiert]. Ein Innenminister Horst Seehofer (CSU), der der Skandalisierung nichts entgegensetzte, obwohl seinen Fachleuten vollkommen klar gewesen sein musste, dass es 2015 normal und durch die Bamf-Leitung gewünscht war, dass Außenstellen sich gegenseitig aushelfen. Eine neue Bamf-Leitung, [6][die vermutlich die Ablehnungsquote in den Höhe treiben wird]. Und natürlich ein insinuierte Unsicherheitsgefühl der rechten Hetzer*innen, das bar jeder Fakten auch noch in Talkshows breiter getreten wird – alles auf dem Rücken von Menschen, die Schutz suchen.

Zudem wurde mit der Stilllegung der Bremer Außenstelle gleichzeitig die dortige Integrationsabteilung geschlossen, die Sprachkurse und Integrationskurse für Neu-Bremer*innen vermittelte. [7][Wochenlang passierte dort gar nichts], erst vor wenigen Wochen wurden die Aufgaben an die Außenstelle Oldenburg delegiert. Inzwischen sollen die Mitarbeiter*innen dort nun ihre Arbeit wieder aufnehmen, wie das Bamf der taz mitteilte. Von einem Normalbetrieb ist die Außenstelle Bremen trotzdem noch immer weit entfernt: Derzeit werden Bremens Asylbewerber in ganzen Busladungen nach Bad Fallingbostel gebracht.

27 Jul 2018

LINKS

[1] /Ueberpruefungen-nach-Bamf-Skandal/!5523745
[2] http://www.bamf.de/DE/Fluechtlingsschutz/AblaufAsylv/AusgangVerfahren/Widerrufsverfahren/widerrufsverfahren-node.html
[3] https://www.google.com/url?sa=t&rct=j&q=&esrc=s&source=web&cd=1&ved=2ahUKEwidhuPyvsvcAhUCGewKHTltCJ8QFjAAegQIABAC&url=http%3A%2F%2Fbiaj.de%2Fimages%2F17-4567.pdf&usg=AOvVaw105Xe_TVw7gLfYdPcaD_7p
[4] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/013/1901371.pdf
[5] https://community.beck.de/2018/06/14/der-eigentliche-bamf-skandal-erst-der-rufmord-dann-die-recherche
[6] /Kommentar-Neue-Bamf-Leitung/!5511669
[7] /Linke-Leonidakis-ueber-Bamf-Skandal/!5513753

AUTOREN

Gareth Joswig

TAGS

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
Skandal
Bremen
Horst Seehofer
Ulla Jelpke
Schwerpunkt Flucht
Bremen
Flüchtlinge
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)

ARTIKEL ZUM THEMA

Nach verpufftem Bamf-Skandal: Bremen darf nicht arbeiten

Obwohl alle Asylentscheidungen des Bamf Bremen untersucht sind, bleibt die Außenstelle stillgelegt. Eine Entschuldigung wäre angebracht.

Zahlen zu Fehlern bei Bamf-Bescheiden: Zu Unrecht Asyl? Gibt es fast nie

Nach Franco A. und Bremen überprüft das Bamf mehr positive Asylbescheide als je zuvor. Fehler werden aber so gut wie keine gefunden.

Teilerfolg für Ex-Chefin des Bremer Bamf: Bandenmäßig vorverurteilt

Gerichtsbeschluss in Bremen: Bundesinnenministerium darf nicht mehr behaupten, in der Bamf-Außenstelle sei „bandenmäßig“ und „kriminell“ gearbeitet worden.

Überprüfungen nach Bamf-Skandal: Bisher nur wenige Bescheide revidiert

Seit Mai prüft das Bamf tausende Asylbescheide aus Bremen. Doch bisher haben die Prüfer nur 17 Entscheidungen gekippt.

Linke Leonidakis über Bamf-“Skandal“: „Krasse falsche Vorwürfe“

Von dem vermeintlichen Bamf-Skandal ist wenig übrig geblieben. Dennoch ist ein schwierig zu reparierender politischer Schaden entstanden, sagt Sofia Leonidakis.

Immer mehr Zweifel an den Vorwürfen: Der Bamf-Skandal, der keiner ist

Der Revisionsbericht des Bamf ist fehlerhaft, von den Vorwürfen gegen die Bremer Außenstelle ist kaum etwas übrig. Peinlich ist das auch für Seehofer.