taz.de -- Kolumne Nullen und Einsen: Rollstuhl statt Mensch
Immer wieder gibt ein Konsortium neue Emojis für die digitale Kommunikation heraus. Nur Menschen mit Behinderung kriegt es nicht hin.
Sprechen wir heute über [1][Toilettentüren, Parkplatzsymbole und Aufzugschilder]. Dort hängt nämlich das Piktogramm für Barrierefreiheit. Abgebildet ist ein Strichmännchen, das kerzengerade im Rollstuhl sitzt, die Arme von sich gestreckt.
Die Kritik daran: Es wirkt zu passiv und mechanisch, es stehe die Behinderung im Vordergrund und nicht der Mensch. Warum ist diese Darstellung, die in den 60er Jahren entwickelt wurde, trotzdem auf Flughäfen auf der ganzen Welt zu finden?
Weil die Internationale Organisation für Normung es so festgelegt hat in der ISO 7001. [2][Einen Vorschlag zur Erneuerung], der den Menschen auf dem Piktogramm dynamischer und selbstbestimmter dargestellt, hat die Organisation 2015 abgelehnt. Zwar setzten es die US-Staaten New York und Connecticut das neue Symbol inzwischen offiziell ein, doch die Mühlen der internationalen Normierung drehen sich nur langsam.
Schneller setzt das Unicode-Konsortium Reformen durch, noch so eine Standardisierungsbehörde. Die Organisation für Normierung hat die Weiterentwicklung der ISO für „Scripted Codes“ an sie delegiert. Und so entscheidet das Konsortium aus großen IT-Unternehmen wie Apple, Microsoft, Google und IBM nun auch über die Standards für Emojis.
Forderungen der Nutzer
Jedes Jahr kommen neue Zeichen heraus, dieses Mal waren es 66 neue Emojis. Dabei werden auch gesellschaftliche Entwicklungen bedacht. Der Ablauf: Das Unicode-Konsortium schreibt die Rezepte für die Emojis, umgesetzt und herausgegeben werden sie durch Techfirmen und Webdienste selbst, sodass jedes Emoji je nach Gerät und Softwareversion variiert, auch die, die Sie in diesem Text sehen.
Vergangenes Jahr [3][konnten Sie an dieser Stelle lesen], wie das Burger-Emoji von Google – im Gegensatz zu allen anderen – den Käse unterm Fleisch serviert. Und über das Bier-Emoji, dessen Humpen nur halb voll ist. Ein paar Tage Aufregung im Internet, schon haben die Unternehmen die Emojis an die Forderung der Nutzer:innen angepasst. So schnell geht das. 🍔 🍺
Auch auf die Amokläufe in den USA in den vergangenen Monaten haben die Unternehmen schnell reagiert. So haben inzwischen alle großen Emoji-Herausgeber ihr Pistolen-Emojis 🔫 in eine Wasserpistole umgewandelt – und das sogar gegen die Unicode-Norm, die das Symbol klar als „Handwaffe“ oder „Revolver“ bestimmt. Schwerter werden immer bunter und geschwungener, sodass sie an Märchen und nicht an islamistischen Terror erinnern.
Minderheiten werden bedacht, die Haarvielfalt wird erweitert: Neben den [4][bereits umgesetzten Hijab] und diversen Hautfarben werden Sie bis zum Ende des Jahres Emojis mit roten, grauen, lockigen Haarvarianten und Glatze auf ihren Smartphones, Facebook und Twitter finden. Es wird alles bedacht. Selbst [5][Googles Salat] 🥗 kommt demnächst ohne Ei daher, sodass er auch für Veganer geeignet ist.
Selbstbestimmte Menschen
Wird wirklich alles bedacht? Apple, Microsoft, Whatsapp und Twitter setzen das neue selbstbestimmtere Symbol für Barrierefreiheit als Emoji um. Doch: dieses Emoji zeigt keinen Menschen, sondern nur ein Piktogramm ♿, weiß auf blau und befindet sich in der Emoji-Listenfolge zwischen dem Parkplatz- 🅿️ und dem WC-Zeichen 🚾. Überhaupt ist es im Jahr 2018 noch immer das einzige von über 2.500 Emojis, was überhaupt einen Teil von Menschen mit Behinderung irgendwie sichtbar macht. Von Repräsentieren kann keine Rede sein.
Zwar hat Apple im März einen Antrag auf 13 Symbole zum Thema beim Unicode-Konsortium eingereicht, [6][als vorläufige Kandidaten in die Auswahl geschafft haben] es jedoch nur ein Assistenzhund, eine Arm- und eine Beinprothese und ein Ohr mit Hörgerät – also allesamt Hilfsmittel. Selbst aus Apples vier Emojis für selbstbestimmte Menschen im Rollstuhl [7][im Antrag (PDF)] wurden zwei leere Rollstühle, einer mit manuellem, der andere mit elektrischem Antrieb. So werden wohl auch im Jahr 2019 noch immer Menschen mit Behinderung nicht als Menschen dargestellt, sondern mit ihren Hilfsmitteln gleichgesetzt werden.
26 Jun 2018
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