taz.de -- Ingo Schierenbeck über Alleinerziehende: „Kaum Zugang zum Arbeitsmarkt“

Alleinerziehende sind hochmotiviert, sagt der Hauptgeschäftsführer der Bremer Arbeitnehmerkammer. Doch die Kinder sind ihr Armutsrisiko.
Bild: Alleinerziehenden fehlt häuft die Zeit, sich weiter zu qualifizieren

taz: Herr Schierenbeck, wie viele Alleinerziehende in Bremen sind arm?

Ingo Schierenbeck: Mehr als die Hälfte der Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern ist arm. Das ist im Ländervergleich eine der höchsten Armutsquoten in ganz Deutschland.

Warum ist gerade in Bremen das Problem so groß, und zwar schon seit Langem?

Bremen ist ohnehin eine Hochburg der Alleinerziehenden, mehr als jedes vierte minderjährige Kind in Bremen lebt in einem Haushalt mit nur einem Elternteil. Im bundesweiten Durchschnitt ist es nur jedes fünfte Kind. Die hohe Armutsquote resultiert aus der hohen Hilfequote der Alleinerziehenden in Bremen. Und die wiederum hängt mit der steigenden Erwerbslosigkeit zusammen und damit, dass es in dieser Gruppe besonders viele Ungelernte gibt: Über 70 Prozent aller arbeitslosen Alleinerziehenden in Bremen haben keinen Berufsabschluss. Deshalb haben sie kaum Zugang zum Arbeitsmarkt, trotz Hochkonjunktur. Eine gute berufliche Qualifikation ist der Schlüssel. Hier brauchen Alleinerziehende Unterstützung von Politik und Betrieben.

Die Landesregierung behauptet, sie mache ganz viel – etwa beim Ausbau der Kinderbetreuung und der Ganztagsschulen. Kommt das bei den Alleinerziehenden nicht an?

Die Kinderbetreuung ist für Alleinerziehende sicherlich ein wichtiger Punkt, mehr noch als bei Paarfamilien. Aber die Versorgung der über wie unter Dreijährigen ist ja noch nicht flächendeckend sichergestellt. Darunter leiden insbesondere Alleinerziehende. Wir brauchen vor allem eine Qualifizierungsoffensive für Alleinerziehende, damit sie die Möglichkeit haben, einen Berufsabschluss nachzuholen – auch in Teilzeit

Kann das Bremen auch als Bundesland allein umsetzen?

Ja, da kann Bremen einen Schwerpunkt bei der Arbeitsmarktförderung setzen und auch seinen Einfluss beim Jobcenter geltend machen.

2017 gab es Pläne, das „Netzwerk für Alleinerziehende“ wiederzubeleben und ein [1][Modellprojekt in Bremen-Nord und Tenever] aufzulegen. Was ist daraus geworden?

Die Modellprojekte starten nun und sollen Alleinerziehenden Coaching und geförderte Beschäftigung bieten. Es gibt außerdem einen politischen Beschluss, dass es das Netzwerk wieder geben soll. Dafür haben wir uns sehr eingesetzt. Das Projekt ist auch ausgeschrieben, aber unseres Wissens ist noch unklar, wer dieses Netzwerk künftig steuert. Es ist aber wichtig, denn die Problemlagen für Alleinerziehende sind ja multikausal – dazu gehört, neben den bereits erwähnten Faktoren, ja auch die Wohnungssituation oder Fragen des Unterhalts.

Bremen stand wiederholt in der Kritik – weil es nicht genug hinterher ist, Unterhalt von säumigen Vätern einzutreiben.

Viele Alleinerziehende in Bremen – und zu 90 Prozent sind das ja Mütter – bekommen keinen Unterhalt, obwohl er ihnen zusteht. Sie brauchen da eine aktivere und stärkere Unterstützung von staatlichen Stellen wie Jugendämtern und Gerichten – das ist ja im Sinne aller Beteiligten.

Umso mehr sind Alleinerziehende auf Jobs angewiesen.

Alleinerziehende Mütter sind häufiger erwerbstätig als solche in Ehen. Sie müssen das nicht nur, sie wollen das auch. Unsere Befragung von 1.300 Alleinerziehenden ergab: Ihr größtes Interesse ist, finanziell unabhängig zu sein. Sie wollen auch weiterhin ein Vorbild für ihre Kinder sein und Kontakt zu anderen Menschen haben. Das sind hochmotivierte Menschen, die gerne auf eigenen Beinen stehen wollen.

26 Jun 2018

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Jan Zier

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