taz.de -- Großdemonstration in Berlin: Tausende gegen Mietenwahnsinn

Mehr als erwartet: 15.000 Menschen folgen dem Aufruf eines Bündnisses, gegen Mietwucher und Spekulation zu demonstrieren.
Bild: Das Auge wohnt mit? Mieten-Demonstration in Berlin

Berlin taz | „Töte den Investor in dir“, steht auf dem Schild, das Sabine Pabel in der Hand hält. Auf dem Rücken ihrer Lederjacke steht „Miethaie zu Fischstäbchen“. Die Kreuzbergerin will ein Zeichen setzen. Deshalb stehen sie und all die Menschen um sie herum dicht an dicht auf dem Potsdamer Platz. Aus den Boxen eines roten LKW, der zur Bühne umfunktioniert ist, tönt: „Wer mit Immobilien handelt, handelt mit Menschen“.

Sabine Pabel ist Mitte der achtziger Jahre nach Berlin gekommen. Ihr Kiez rund um die Oranienstraße hat sich seitdem deutlich verändert. Jahrelang gewachsene Strukturen seien zerstört worden, von Kleingewerbe bis Kitas. „Wir sind doch selbst alle hierher geflüchtet, weil man hier so sein kann, wie man will.“ Berlin dürfe nicht wie Paris oder London enden, sagt sie.



Sie ist eine von mindestens 15.000 Menschen die an diesem Samstag gegen den „Mietenwahnsinn“ demonstrierten. Mehr als 200 Initiativen hatten zu den Protesten aufgerufen, in der heißen Phase der Mobilisierung in den vergangenen 10 Tagen gab es unter dem Motto „Zusammensetzen“ täglich mehrere Aktionen in ganz Berlin. Die reichten von Diskussionsveranstaltungen über symbolische Blockaden von Straßen bis zu Filmvorführungen.

Unter den beteiligten Gruppen fanden sich viele Nachbarschaftsinitiativen, dazu schon lang im Mietenkampf engagierte Bündnisse, wie „Zwangsräumungen verhindern“ und Bizim Kiez, aber auch linke und linksradikale Zusammenhänge hatten zur Demo aufgerufen, wie „Hände weg vom Wedding“ oder das Vorbereitungsbündnis der Revolutionären 1.-Mai-Demo.

Mit der [1][Berliner Linkspartei] und den Grünen hatte der Aufruf zu den Protesten auch aktive Unterstützung aus den Kreisen der regierenden Koalition. Noch auf dem ebenfalls am Samstag stattfindenen Parteitag der Linken erklärte Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher: „Ich empfinde die heutige große Mietendemo als Rückenwind für die Weichenstellungen, die wir vorgenommen haben. Ich begreife sie als Unterstützung unserer Bemühungen.“

Angst vor Verkauf und Sanierung

Doch die VeranstalterInnen machen in ihrer Begrüßung auf dem Potsdamer Platz klar: „Parteiflaggen sind nicht erwünscht!“ So dominieren Protestbanner und Bündnistransparente das Bild des Protestzuges. Vereinzelt sind Fahnen der Antifa oder verschiedener Gewerkschaften zu sehen.

Wie schon bei den Veranstaltungen der vergangenen Tage wird deutlich, dass Bodenspekulation und die renditeorientierte Vermietung von Gewerbeflächen und Wohnraum für viele Menschen auf ganz unterschiedliche Weise zu Problemen werden. „Bei uns werden die Platten abgerissen, ich bin so sauer“, ruft eine Frau am Rande der Eröffnungskundgebung.

Andere erzählen von steigenden Mieten, die sie sich nicht mehr leisten können. Ein junger Student berichtet, seine neue Miete sei um ein Drittel gestiegen. Aber auch diejenigen, die von steigenden Mieten bisher verschont geblieben sind, haben Angst vor Verkauf oder Sanierungen der Häuser.

Weiterhin Interesse internationaler Investoren

Erst in der vergangenen Woche war [2][eine neue Studie] bekannt geworden, laut der Berlin weltweit die Metropole mit den am schnellsten steigenden Immobilienpreisen ist. Grund dafür ist das weiterhin große Interesse internationaler Investoren an der Stadt, die absehbar weiter wachsen wird – und mit ihr der Bedarf an Wohnraum. Entsprechend den hohen Renditeerwartungen von Verkäufern, Spekulanten und Vermietern steigt das Mietniveau in der Stadt deutlich schneller als die Einkommen. Der Verdrängungsdruck hat inzwischen auch die Mittelschicht erreicht, was nicht zuletzt die hohe Anschlussfähigkeit der Mietenproteste erklären dürfte.

„Das ist eins der wichtigsten Themen überhaupt“, ruft ein junger Mann im Protestzug. Man müsse selbst etwas bewegen, von alleine passiere beim Thema Mieten nichts. Für ihn richtet sich die Demo jedoch nicht ausschließlich an die Politik. „Die Adressaten sind wir eigentlich selbst, die Stadtgesellschaft“, erklärt er. Er freue sich, dass so viele Initiativen zusammen gekommen seien. Es gehe daher auch darum, einander zu zeigen, dass man für eine gemeinsame Sache kämpfe.

Einige Meter weiter hinten ist die Frage der Adressierung etwas deutlicher: „Der Protest richtet sich zum Beispiel gegen Google, aber eigentlich gegen alle Investoren“, betont eine Teilnehmerin entschieden. Sie läuft mit im Block des Bündnisses Frei(t)räume für die Initiative zum [3][Erhalt von Potse und Drugstore], wo die Demo auch enden soll. Der dortige Investor wolle die Jugendzentren aus dem Gebäude raus haben, erklärt die junge Frau, und stattdessen ein Hostel mit Bürofläche drin haben. Hinter ihr weht ein Transparent mit der Aufschrift: „Ein Hostelbett ist kein Zuhause.“

14 Apr 2018

LINKS

=> //!5495622 [1] //!5495622

[2] /!5495422

=> //!5495748 [3] //!5495748

AUTOREN

Daniel Stoecker
Daniél Kretschmar

TAGS

Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Mieten
Mieten
Mieten
Caren Lay
Polizei Berlin
Mieten
Lesestück Recherche und Reportage
Katrin Lompscher
Mieten
Wohnungslosigkeit
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Grüne Berlin
Die Linke Berlin
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Schwerpunkt Gentrifizierung in Berlin
Immobilienspekulation

ARTIKEL ZUM THEMA

Anders wohnen in München: Kampfansage an die hohen Mieten

Immer mehr Menschen zieht es nach München und immer teurer wird der Wohnraum. Auswege aus der Misere bieten alternative Wohnformen.

Gentrifizierung in Berlin: Die Lause geht in die zweite Runde

Erneut droht dem linken Häuserkomplex „Lause“ in Kreuzberg die Verdrängung: Am Freitag wird dagegen mobil gemacht.

Gutachten zur Wohnungsfirma Vonovia: Profiteur der Privatisierungswelle

Die Linkspartei lässt die größte deutsche Wohnungsfirma untersuchen. Hauptvorwurf: Sie treibe die Mieten hoch und spare an Hausmeistern.

Jugendzentren in Berlin-Schöneberg: Polizei im Drugstore

Nach Lärmbeschwerden beendet die Polizei das Potse-Drugstore-Festival. VertreterInnen der Jugendzentren sprechen von „massiver Gewalt“.

Steigende Mieten in Deutschland: Keine Enquete zur Bodenpolitik

Die Linke kritisiert die Abkehr von Union und SPD vom Koalitionsvertrag. Experten hätten Möglichkeiten für billigere Neubauten prüfen sollen.

Antifaschistische Bewegung und AfD: Raus aus der Defensive

Seit Herbst sitzt die AfD im Bundestag – und was macht die Antifa? Die Szene ist auf der Suche. Nun könnte es mit der Schockstarre vorbei sein.

Berliner Wochenkommentar I: Alle gegen Katrin Lompscher

Der Wohnungsbericht der Investitionsbank Berlin zeigt weiter steigende Mieten. Doch die Kritik an Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) geht fehl.

Kommentar Miete und Wohneigentum: Die deutsche Schockstrategie

Nachdem die Immobilienlobby die Mieten nach oben getrieben hat, fordert sie nun Subventionen, damit sie auch Ärmeren Wohnungen verkaufen kann.

Kommentar Hausräumung im Wedding: Bewohner sind Kollateralschaden

Wenn der Bezirk Mitte sich um die Gesundheit der BewohnerInnen des geräumten Hauses sorgt, warum kümmert er sich nicht um ihren Verbleib?

Mietenwahnsinn-Proteste: Weiter Zähne zeigen

Die Mieterdemo war ein politischer und medialer Erfolg. Die Initiatoren wollen weitermachen, womöglich bundesweit.

Nach der Mietenwahnsinn-Demo: Jetzt wird's radikal

Der Kampf gegen den Mietenwahnsinn geht nach der Großdemo weiter. Aktivisten wollen streiken, enteignen und politische Änderungen erzwingen.

Die Wochenvorschau für Berlin: In der Zeitschleife

Manche Probleme unserer Zeit sind so groß wie hartnäckig: Tarifkonflikte, das Mietenthema, die Bildung unserer Kinder. Diese Woche ist alles drin.

Landesparteitag Linke: Linke ringt um Einfluss

Die Linke redet auf ihrem Landesparteitag am Samstag vor allem über Rekommunalisierung. Nicht einig ist sich die Partei beim Kopftuchverbot.

Kommentar Protest gegen Mietpolitik: Es brennt

Die Explosion der Mietpreise ist eine gigantische Umverteilung von unten nach oben. Die Politik muss die Kontrolle in die Hände der Mieter legen.

Demonstration #Mietenwahnsinn: Der Popelpunker passt nicht mehr

Die Demo #Mietenwahnsinn endet dort, wo Potse und Drugstore ihr Domizil haben. Noch. Die Jugendzentren müssen einem Investor weichen.

Entwicklung der Immobilienpreise: Berlin endlich Weltspitze

Spekulanten freuen sich, Mieter eher weniger: In keiner anderen Stadt der Welt steigen die Preise für Immobilien so stark an wie in Berlin.