taz.de -- Linksparteichefin über Mietenpolitik: „Enteignungen sind legitim“
Lassen Eigentümer ihre Häuser leerstehen, will die Linke sie enteignen. Und Parteichefin Katina Schubert ist guter Hoffnung, dass die SPD da mitzieht.
taz: Frau Schubert, wir sitzen hier in der Rudi-Dutschke-Straße. Lassen Sie uns über Enteignungen reden!
Katina Schubert: Gerne.
Der Leitantrag für den Landesparteitag am Samstag fordert Enteignungen bei spekulativem Leerstand von Häusern. Ist das ein reales Problem in Berlin?
Ja. Wenn ich durch die Stadt gehe, fallen mir immer wieder Häuser oder Gebäudeteile auf, die leerstehen. Und da frage ich mich: Warum eigentlich? Das Problem ist: In den Bezirken fehlt das Personal, um diese Fälle zu überprüfen. Aber in Fällen, in denen Gebäude bewusst leer stehen gelassen werden oder leer gezogen werden, um damit große Gewinne zu machen, ist es gerechtfertigt, wenn die öffentliche Hand sagt: Bis hierhin, und nicht weiter!
Wie soll das konkret funktionieren?
Es wird festgestellt, wer der Eigentümer ist; er muss nachweisen, dass das Haus entsprechend genutzt wird. Verweigert er sich, wird geprüft, inwieweit er enteignet werden kann. Da gibt es Möglichkeiten, es handelt sich ja nicht um ein ungewöhnliches Verfahren: Wenn der Bund Autobahnen bauen will, ist er ganz fix mit dem Enteignen von Grundstücken.
Das heißt: der Eigentümer wird gezwungen, zu verkaufen?
Genau. Natürlich nicht entschädigungslos, das wäre rechtswidrig. Wir, also Rot-Rot-Grün, haben im Zweckentfremdungsverbotsgesetz – bei dem es auch um das Verbot von Ferienwohnungen geht – schon etwas ähnliches vorgesehen: Da gibt es eine Treuhänderregelung. Wenn Spekulationsleerstand offenkundig ist, werden beispielsweise Wohnungen wieder vermietet; die Mieteinnahmen gehen über einen Treuhänder an den Eigentümer.
Macht die SPD da mit?
Beim Zweckentfremdungsverbotsgesetz hat sie ja schon mitgemacht.
Und bei der Bekämpfung des spekulativen Leerstands?
Das wird man sehen. Aber natürlich hat auch die SPD damit zu kämpfen, dass sie sich als Mieterpartei bezeichnet, aber ihre Klientel nicht mehr angemessen vertreten kann. Insofern bin ich gar nicht so pessimistisch, dass man mit der SPD auch über diese Frage reden kann.
Aber der Begriff Enteignung hat zumindest sprachlich eine neue Radikalität, die viele Menschen in der Stadt abschrecken dürfte.
Nein, ich würde nicht sagen, dass es eine sprachliche Radikalität ist. Letztendlich gibt es ein großes gesellschaftliches Interesse an bezahlbarem Wohnraum. Insofern sind auch Enteignungen legitim, wo Wohnraum zweckentfremdet oder spekulativ leer steht. Es geht nicht um Enteignungen von Eigenheimen oder Datschenbesitzer*innen.
Es gäbe ja noch andere Politikfelder, wo Enteignungen berechtigt wären. Ist ihre Forderung also nur der erste Schritt?
Das folgt jetzt erst mal einem dringenden Bedürfnis. Ansonsten reden wir eher von Rekommunalisierung im Bereich der öffentlichen Infrastruktur. Um die Energienetze von Strom und Gas, die S-Bahn.
Da steht innerhalb von Rot-Rot-Grün die Frage an, ob das Land einen eigenen Fuhrpark aufbauen soll.
Wir als Linke wollen das, um damit Abstimmungsschwierigkeiten zu vermeiden. Wir brauchen die S-Bahn als Rückgrat des Berliner Nahverkehrs. Und ein eigener Fuhrpark kann auch Spekulationsabsichten reduzieren: Sobald sich die Waggons in landeseigenem Besitz befinden, steht eben nicht der Profit im Vordergrund, sondern das Land kann damit entsprechend den Bedürfnissen der Fahrgäste arbeiten. In der Koalition ist das aber noch nicht entschieden.
Dass die S-Bahn, die der staatseigenen Deutschen Bahn gehört, einfach gekauft werden kann – das haben Sie abgeschrieben?
Die Deutsche Bahn arbeitet ja sehr Rendite orientiert; im Moment hat sie keine Absicht, die S-Bahn zu verkaufen.
Die SPD ist sogar offen für ein landeseigenes Eisenbahnunternehmen.
Ja, da sind wir auch offen. Na klar. Wenn es da eine realistische Perspektive gibt, dass wir die S-Bahn in Landeshand bekommen mit Brandenburg zusammen, dann wäre das natürlich eine Zukunftsoption.
Über welchen Zeitraum reden wir hier?
Puh, ich fürchte über einen längeren.
Was sind denn die realistischen Optionen, die Energienetze wieder in öffentliche Hand zu bekommen?
Das liegt alles bei Gericht, wegen der Ausschreibungen.
Derzeit können Sie also nichts konkret tun?
Im Moment ist das schwierig. Die Gerichte müssen jetzt klären, inwiefern das Land darauf einen Zugriff bekommt. Da muss die Politik jetzt abwarten.
Wie lange wird das dauern?
Es gibt leider keinen Zeithorizont, das macht es uns als Politik auch so schwer. Und das ist ein Problem.
Im Leitantrag des Parteitags steht auch eine „Privatisierungsbremse“, damit etwa nicht noch eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft verkauft werden kann wie mal die GSW.
Dass der Verkauf der GSW ein Fehler war, steht völlig außer Frage. Die Privatisierungsbremse ist schon zwischen SPD, Linken und Grünen verabredet. Wir haben aber keine Zweidrittelmehrheit im Parlament für die nötige Verfassungsänderung. Wir werden jetzt einen Gesetzentwurf ausarbeiten und dann den normalen politischen Weg durchs Parlament beschreiten. Das heißt, dass jetzt der Druck auf die CDU aufgemacht werden muss. Ohne sie gibt es keine Zweidrittelmehrheit.
Und wenn die Union nicht zustimmt?
Dann ist es Zeit zu prüfen, ob wir genug Unterstützung haben in der Stadt, um die Bremse durch ein Volksbegehren umzusetzen.
Für ein verfassungsänderndes Volksbegehren gelten besonders hohe Hürden: Statt wie sonst müssen zum Beispiel 500.000 statt nur rund 175.000 Menschen unterschreiben.
Trotzdem müssen wir das prüfen. Ich halte eine solche Privatisierungsbremse nach den schlechten Erfahrungen aus den 90ern und 00er-Jahren für zwingend.
Die Gruppen, die bei der Mietendemo mitmachen, würden die Forderung nach einer Privatisierungsbremse sicher unterstützen. Ist der Protest am Samstag auch schon so eine Art Gradmesser für die Unterstützung in der Gesellschaft?
Die Organisatoren sind sehr darauf bedacht, ihren Protest unabhängig von den Parteien durchzuführen. Das ist auch richtig: Es muss einen Raum geben für die außerparlamentarische Arbeit. Wir als Linke verstehen uns zwar als eine Art Transmissionsriemen, aber wir haben kein Recht, das zu instrumentalisieren.
Für ein Volksbegehren für die Privatisierungsbremse müssten Sie aber genau das machen.
Nein, wir können das unterstützen, müssen es aber nicht instrumentalisieren.
Rot-Rot-Grün müsste doch das Volksbegehren selbst initiieren.
Jetzt geht es erst mal um die Mietendemo am Samstag; da halten wir uns als Partei zurück. Was die Privatisierungsbremse angeht: Wenn die CDU sich verweigert sind wir in der Situation, dass wir auf alle Initiativen, die dafür in Frage kommen – Mietinitiativen, Gewerkschaften, Kirchen, etc, zugehen werden und fragen: Was haltet ihr davon? Dann muss die Zivilgesellschaft aktiv werden.
Auf ihre Initiative.
Ja nu. Aber erst gehen wir den parlamentarischen Weg.
Die Mietendemo am Samstag: Ist das Gegen- oder Rückenwind für die Linke?
Ich betrachte das als Rückenwind. Die Demonstration ist eine super Sache. Wir unterstützen das Anliegen und viele Mitglieder unserer Partei werden da sein. Aus dem Aufruf geht klar hervor, dass diese Demo in Opposition zum herrschenden Mietrecht steht. Um den Mietenanstieg zu begrenzen muss vor allem im Bundesrecht viel verändert werden.
Im Februar war ihre Partei erstmals Nummer eins in einer Meinungsumfrage. Hat die Linke in Berlin den Anspruch, Volkspartei zu sein?
Ich weiß nicht, ob dieser Begriff überhaupt noch stimmig ist. In Berlin liegen vier Partei fast gleichauf bei 20 Prozent. Ich denke aber wohl, dass wir als Berliner Linke die ganze Stadt im Blick haben. Auch mit unserer Mietenpolitik, denn 85 Prozent sind Mieterinnen und Mieter. Unsere Anhängerschaft sind zum einen die urbanen, hippen, jungen Innenstädter, zum anderen die Prekären. Zum Teil ist das auch deckungsgleich, viele Menschen im Ostteil der Stadt, Erwerbslose und abhängig Beschäftigte, Migrant*innen, Queere, Feminist*innen…
Hat sich die SPD in Berlin denn daran gewöhnt, dass die Linke zukünftig stärker sein könnte?
Nein.
Kann das zum Problem werden?
Im letzten Senat, dem schwarz-roten, ist nichts zusammengelaufen. Die waren so tief in ihren Gräben verankert, dagegen ist Rot-Rot-Grün ein Hort der Harmonie und der konstruktiven Zusammenarbeit. Wir beschäftigen uns derzeit jedenfalls nicht mit der Frage, ob wir bei der nächsten Wahl stärkste Partei werden und wer dann Regierender Bürgermeister wird.
Als die Linke 2002 bis 2011 erstmals mit regierte, haben viele die Partei so gesehen, dass sie bloß Senatspolitik abnickte. Und jetzt, in der rot-rot-grünen Koalition?
Meine Erfahrung an der Basis ist, dass die meisten mit der politischen Entwicklung überwiegend zufrieden sind, auch mit unserer Performance in der Koalition. Aber es gibt Diskussionen und das ist gut so. Die Schulbaufrage wird in der Partei intensiv diskutiert. Vor dem Hintergrund der Erfahrung der rot-roten Regierungszeit gibt es immer die Angst Fehler zu machen und Strukturentscheidungen zu treffen, die dann nicht mehr rückgängig zu machen sind. Wir sind eine lernende Partei.
Wie sehen Sie Ihre Rolle in der Partei? Öffentlich sind Sie deutlich weniger wahrnehmbar als etwa ihr Vorgänger Klaus Lederer.
Es liegt in der Natur der Sache, dass die Senatorinnen und der Senator ganz anders wahrgenommen werden als die Parteivorsitzende. Die Außenwirkung läuft vor allem über sie und die Fraktionschefs. Meine Aufgabe sehe ich vor allem darin, den Parteiprozess und die programmatische- stadtpolitische Entwicklung voranzutreiben und in der Auseinandersetzung mit unseren Senatsvertretern die Position der Partei einzubringen.
Sie waren stellvertretende Bundesvorsitzende der Linken, zwischenzeitlich mal ganz raus aus der Politik und jetzt auf Landesebene ganz oben. Achterbahnfahrt, Comeback-Frau? – wie beurteilen Sie ihren Werdegang?
Ich bin jetzt da, wo ich am meisten bewirken, meine Kenntnisse und Erfahrungen am besten einbringen kann. Die Auseinandersetzung in der Bundespartei ist eine ganz andere und geht viel mehr nach innen. Hier geht es tatsächlich darum, Politik zu gestalten.
Sie stehen für ein rot-rot-grünes Modell, am besten auch auf Bundesebene. Ihre Brandenburger Amtskollegin Diana Golze hat jüngst ein Bündnis mit der CDU nicht ausgeschlossen. Was sagen Sie dazu?
Sie hat erstmals nur gesagt, dass Demokraten miteinander reden können müssen. Das würde ich nicht hochbauschen. Möglicherweise sind die Brandenburger Verhältnisse irgendwann so, dass die demokratischen Parteien miteinander reden müssen, um zu verhindern, dass die AfD an die Regierung kommt. Für die Linke insgesamt ist eine Zusammenarbeit mit der CDU kein Modell, schon gar nicht für die Bundesebene. Und in Berlin ist so etwas schlicht nicht vorstellbar.
Die Kritik an der fehlenden Aufklärung der rechtsterroristischen Anschlagsserie in Neukölln ist auch in ihrer Partei groß. Was erwarten Sie diesbezüglich von der neuen Polizeipräsidentin?
Ich hoffe, dass sie die Aufklärungsintensität steigern kann und dafür auch mehr Kapazitäten bereitstellt. Nach den Erfahrungen mit dem NSU ist das nicht zu unterschätzen. Dass die Polizei weiter im Dunkeln stochert, ist ein Problem – es ist nicht hinnehmbar, dass eine Bande brandschatzend durch Neukölln zieht.
13 Apr 2018
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