taz.de -- Kolumne Macht: Angst schlägt Anstand

Und Tschüss, Martin Schulz. Möchte man von einer Partei regiert werden, die so mit ihrem einstigen Hoffnungsträger umspringt? Ich jedenfalls nicht.
Bild: Ein Abschied sollte von Menschlichkeit geprägt sein: Schulz umarmt Gabriel (2015)

Mehr Lüge war nie – Karrierist – Vertrauensbruch – zeigt mal wieder, dass alle Politiker nur an Posten und Pöstchen interessiert sind: Der geplante Wechsel von Martin Schulz, SPD-Vorsitzender auf Abruf, ins Auswärtige Amt, sorgte für Wut, Enttäuschung, Häme. Verständlicherweise, hatte Schulz doch noch vor wenigen Monaten eindeutig erklärt, niemals in ein Kabinett Merkel eintreten zu wollen.

Der Druck zeigte Wirkung. Nun hat Martin Schulz überraschend auf ein Ministeramt verzichtet. Und ist damit zur tragischen Figur geworden. Oder etwa nicht?

Zu Tragik gehört immer auch Größe. Die hat Martin Schulz seit seinem fulminanten Aufstieg zum SPD-Vorsitzenden und Kanzlerkandidaten – gerade mal ein Jahr ist das her – bisher nicht gezeigt. Allzu kleinteilig, allzu vage war der von ihm angeführte Wahlkampf, allzu viele Versprechen hat er gebrochen.

Das war allerdings nicht allein seine Schuld. Viele Partei-Granden und etliche nicht ganz so große Granden haben vor allem eigene Interessen in ihren jeweiligen Ländern verfolgt und wenig Rücksicht auf den neuen Hoffnungsträger genommen. Der konnte sehen, wo er blieb. Und sollte dennoch gewinnen.

Vom Hof gejagt

Zumindest in dieser Hinsicht ist die SPD-Spitze sich offenbar treu geblieben. Wie einen räudigen Hund hat sie Schulz jetzt vom Hof gejagt. Angst schlägt Anstand. Zu groß war offenbar die Sorge, dass die Personaldiskussion das beherrschende Thema bei der Entscheidung der Parteibasis über den Koalitionsvertrag sein würde.

Dennoch darf man so mit Menschen nicht umgehen. Ja, die Entscheidung, Martin Schulz als Außenminister zu benennen, war falsch. Sie wirkte wie der elegante Ausweg aus einer schwierigen Situation, aber sie wirkte eben nur so. Sie war schlaumeierisch, das klassische Ergebnis endlos langer Sitzungen in Hinterzimmern.

Gab es wirklich niemanden, dem oder der in diesen Treffen eine Lösung eingefallen wäre, die Martin Schulz seine Würde gelassen hätte? Zum Beispiel: Ihn noch eine Zeitlang im Amt des Parteivorsitzenden zu halten und ihm dann einen Abschied zu seinen Bedingungen zu ermöglichen? Nein, offenbar gab es niemanden.

Gabriel hat sich öffentlich zum Horst gemacht

Von einer solchen Partei möchte ich nicht regiert werden. Ich habe die SPD oft gewählt, und ich bin in den letzten Wochen für die Bildung einer Großen Koalition eingetreten. Weil ich sogar eine langweilige, uninspirierte, aber immerhin professionelle Regierung für besser halte als gar keine.

Aber wenn eine Partei selbst ihren einstigen Hoffnungsträger so kalt abserviert – wie wird sie dann erst Leute behandeln, die keine Lobby haben? Geflüchtete und Kinder aus armen Familien? Ja, genau. Wäre ich SPD-Mitglied: dann würde ich jetzt gegen den Koalitionsvertrag stimmen.

Übrigens sollte auch Sigmar Gabriel nicht als Sieger vom Platz reiten und Außenminister sein dürfen. Er hat sich öffentlich zum Horst gemacht. Es ist ja verständlich, dass Gabriel enttäuscht war, sein Amt zu verlieren, aber über diese Gefühle hätte er mit seiner Ehefrau sprechen sollen. Nicht mit uns.

Das Auswärtige Amt ist kein Erbhof. Der Minister zeigte, dass er das anders sieht – und verhielt sich damit parteischädigend. Der ehemalige SPD-Vorsitzende hat das Ansehen, das er sich in jahrelanger Arbeit mühsam erworben hat, mit wenigen Sätzen verspielt.

Es geht nämlich in der Politik, anders als vielfach vermutet, tatsächlich nicht in erster Linie um Posten, sondern um Inhalte. Zumindest sollte das so sein.

10 Feb 2018

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Bettina Gaus

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