taz.de -- Neue Opposition im Bundestag: Die SPD braucht jetzt die Linkspartei
Nur noch 153 Abgeordnete stellt die SPD im neuen Bundestag. Handlungsfähig ist sie als Oppositionspartei nur mit Hilfe der Linken.
Berlin taz | Die Zeit der Mini-Opposition ist vorbei: Kommt es tatsächlich zu einer Jamaika-Koalition, steigt die Zahl der Oppositionsabgeordneten von jetzt 128 (Grüne, Linke und Erika Steinbach) auf dann 316 (SPD, Linke und AfD). Die Sozialdemokraten würden in diesem Fall die größte Oppositionsfraktion stellen – und trotzdem hätten sie im Bundestag weniger Kontrollmöglichkeiten als je zuvor.
1. SPD first
Nach einer Regierungserklärung der Kanzlerin spricht zuerst derOppositionsführer – das hat im Bundestag Tradition. Bei einer neuen großen Koalition wäre die AfD stärkste Oppositionspartei geworden, hätte direkt auf die Kanzlerin geantwortet und so die größte Aufmerksamkeit bekommen. Auf Regierungserklärungen der Jamaika-Koalition würde dagegen eine Rede der SPD folgen, die AfD rückt nach hinten.
2. Der Haushaltsausschuss bleibt rot
Traditionell bekommt die stärkste Oppositionsfraktion auch den Vorsitz des Haushaltsausschusses, eines der wichtigsten Gremien des Bundestags. Derzeit hat Gesine Lötzsch (Linkspartei) den Posten inne, jetzt bekommt ihn wohl die SPD. Die AfD muss sich mit dem Vorsitz in weniger relevanten Ausschüssen begnügen. Die genaue Besetzung vereinbart der Ältestenrat.
3. U-Ausschuss nur mit den Linken
Aber auch als stärkste Oppositionsfraktion sind die Möglichkeiten der SPD begrenzt. Für die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen und Enquete-Kommissionen müssen zum Beispiel mindestens 25 Prozent der Abgeordneten stimmen. Im neuen Bundestag wären das 178 Abgeordnete, die SPD allein hat aber nur noch 153. Werden die Grünen Regierungsfraktion und wollen die Sozialdemokraten nicht mit der AfD abstimmen, wären sie für die Einsetzung von U-Ausschüssen erstmals darauf angewiesen, gemeinsame Sache mit der Linkspartei zu machen – ein rot-rotes-Oppositionsbündnis käme auf 222 Stimmen. Übrigens: Die AfD fordert zwar einen Untersuchungsausschuss zur Flüchtlingspolitik von Angela Merkel, kann ihn mit ihren 94 Abgeordneten aber nicht durchsetzen.
4. Auch nach Karlsruhe kommt die SPD nicht allein
Mit 25 Prozent der Stimmen kann die Bundestagsopposition jedes Gesetz zur Überprüfung ans Bundesverfassungsgericht schicken. Für diese sogenannte abstrakte Normenkontrolle reichen die Stimmen der SPD also ebenfalls nicht aus. Theoretisch kann auch jede Landesregierung einen Antrag auf Normenkontrolle stellen. Fast alle Ministerpräsidenten der SPD reagieren aber mit einer der drei Jamaika-Parteien, und diese würden in Karlsruhe nicht gegen ihre eigenen Gesetze klagen. Eine Ausnahme ist Brandenburg – dort regiert die SPD aber mit der Linkspartei. Um sie kommt die SPD also auch für die Normenkontrolle nicht herum.
5. Keine Sondersitzung für die Opposition
Sondersitzungen des Bundestags kann die Opposition nur erzwingen, wenn mindestens ein Drittel der Abgeordneten dafür stimmt. So viele haben nicht mal SPD und Linkspartei zusammen; das Quorum würde nur erreicht, wenn auch die AfD dafür ist. Heißt in der Praxis: Unfreiwillige Sondersitzungen müsste die Jamaika-Koalition kaum befürchten.
6. Merkel herbeirufen darf jeder
Immerhin: Manche Oppositionsrechte sind ganz einfach durchzusetzen. Fünf Prozent der Abgeordneten oder der Antrag einer einzigen Fraktion reichen zum Beispiel aus, um ein Regierungsmitglied in eine laufende Plenarsitzung rufen zu lassen. Das schafft die SPD also ohne die Linkspartei und das kann selbst die AfD ganz alleine.
[1][Lesen Sie mehr zur Bundestagswahl 2017 in unserem Schwerpunkt]
25 Sep 2017
LINKS
AUTOREN
TAGS
ARTIKEL ZUM THEMA
Carsten Schneider vertritt den rechten Parteiflügel in der neuen SPD-Spitze. Schulz' Kurs bekommt mit ihm Gegenwind.
Das schwächste Wahlergebnis für die CDU seit 1949: Nun muss sich Angela Merkel auch vor der eigenen Partei für ihren Mitte-Kurs rechtfertigen.
Die SPD rettet sich selbst vor der Fortsetzung der Großen Koalition und reagiert erleichtert. Dieser Schritt ist verständlich, aber strategisch unklug.
Vier Jahre außerhalb des Parlaments haben die FDP erst so richtig durchstarten lassen. Auch weil sie versprochen hat, nicht in jede Koalition zu gehen.
Zwar haben die Tegelgegner einen Achtungserfolg erzielt. Aber die Bundestagswahl ist für die Berliner SPD kein Erfolg. Sie fällt hinter die Linke auf Platz drei.
Die Sozialdemokraten schneiden schwächer ab als der Koalitionspartner Linke. Beim Volksentscheid stimmen rund 55 Prozent für eine Offenhaltung des Flughafens.
Die AfD schafft es als drittstärkste Kraft in den Bundestag. Wer gehört zur Fraktion? Und wer hat künftig das Sagen? Die wichtigsten Figuren der Fraktion.
Banges Warten, dann große Erleichterung: Die Linke verteidigt ihre vier Direktmandate und liegt bei den Zweitstimmen gleichauf mit der SPD.