taz.de -- EuGH-Urteil zur Flüchtlingsquote: Slowakei akzeptiert, Ungarn schimpft

Nach dem Urteil aus Luxemburg zur europäischen Flüchtlingspolitik sollen Ungarn und die Slowakei handeln. Es gibt keine schnelle Lösung.
Bild: Nutzt bald vielleicht nicht mehr viel: Wachturm an der slowakisch-ungarischen Grenze

Brüssel taz | Auch nach [1][dem Urteil aus Luxemburg] zeichnet sich keine Lösung im Dauerstreit um die europäische Flüchtlingspolitik ab. Zwar will die Slowakei, die gemeinsam mit Ungarn geklagt hatte, die höchstrichterliche Entscheidung akzeptieren. Doch Ungarn leistet weiter erbitterten Widerstand. Und die EU zögert.

Ungarns Außenminister Péter Szijjártó kritisierte das Urteil als „unverantwortlich“. „Wir glauben, dass diese Entscheidung die Sicherheit aller in Europa bedroht“, erklärte er in Budapest. Regierungschef Viktor Orbán hatte zuvor sogar 400 Millionen Euro von der EU gefordert – für den Bau einer Mauer zur Abwehr von Flüchtlingen.

„Solidarität ist keine Einbahnstraße“, antwortete EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker auf diese Forderung. „Solidarität funktioniert nicht wie à la carte essen gehen.“ Dieselben Worte benutzte EU-Flüchtlingskommissar Dimitris Avramopoulos in einer ersten Reaktion auf das Urteil. Jetzt müsse auch Ungarn Flüchtlinge aufnehmen, sagte er.

Allerdings zögert die EU-Kommission mit neuen Sanktionen. Schon jetzt laufen Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn, Polen und Tschechien. Wenn diese Länder bei der Verweigerungshaltung blieben, werde die Kommission sie vor dem EuGH in Luxemburg verklagen, sagte Avramopoulos. Eine Entscheidung sei aber erst in „einigen Wochen“ geplant.

Damit dürfte es noch länger bei der aktuellen, unbefriedigenden Lage bleiben. Die umstrittene Umverteilung von insgesamt 120.000 Flüchtlingen in Griechenland und Italien sollte eigentlich schon am 26. September 2017 abgeschlossen sein. Bislang wurden aber erst 27.695 Menschen auf andere EU-Länder verteilt.

Viel Druck aus Deutschland

Nur Malta hat seine Quote von 131 Flüchtlingen erfüllt. Fast geschafft hat das auch Finnland mit 1.951 von 2.078 Flüchtlingen. Demgegenüber hinken die meisten anderen EU-Staaten gegenüber dem Brüsseler Plansoll her. Auch Deutschland hat noch nicht die erwartete Solidarität gezeigt.

Dennoch sind es nun vor allem deutsche Politiker, die Druck auf die Verweigerer ausüben. Das Urteil sei klar und eindeutig, sagte Außenminister Sigmar Gabriel (SPD). „Wir erwarten, dass sich alle europäischen Partner an das Urteil halten und die Beschlüsse jetzt ohne weiteres Zögern umsetzen“, erklärte er am Mittwoch in Berlin.

Noch mehr Druck machen deutsche Europaabgeordnete. Die EU-Kommission sollte Ungarn und der Slowakei die EU-Zuschüsse für die Abschiebung von abgelehnten Asylbewerben streichen, fordert die Fraktionschefin der Grünen, Ska Keller. „Wer keine Flüchtlinge aufnehmen will, darf keine EU-Unterstützung dafür bekommen, Leute wieder loszuwerden.“

Die EU sollte auch damit drohen, den Verweigerern den Geldhahn zuzudrehen, fordert Alexander Graf Lambsdorff von der FDP. In der nächsten Finanzperiode müssten EU-Hilfen „an die Einhaltung von Werten sowie die Befolgung von EuGH-Urteilen“ gebunden werden.

6 Sep 2017

LINKS

[1] /Entscheidung-des-EuGH/!5445732

AUTOREN

Eric Bonse

TAGS

Schwerpunkt Flucht
EuGH
EU-Flüchtlingspolitik
Schwerpunkt Emmanuel Macron
Schwerpunkt Flucht
EuGH
Tschechien
Konferenz
Kongo
Flüchtlinge
EU-Flüchtlingspolitik
Lesestück Meinung und Analyse

ARTIKEL ZUM THEMA

Kommissionspräsident zur Lage der EU: Juncker will überall den Euro

Kommissionspräsident Juncker will den Schengen- und Euroraum auf die gesamte EU ausweiten. Die Vorschläge könnten erheblichen Streit auslösen.

EU hilflos gegen Orbán: Gut zureden und drohen

Ungarn und Polen lehnen das EuGH-Urteil zur Flüchtlingspolitik ab. Wie es nun weitergehen soll, weiß in der EU niemand.

Kommentar EuGH zur Flüchtlingsquote: Europa zum Handeln verurteilt

Der Europäische Gerichtshof hat nicht nur über die Umverteilung von Flüchtlingen entschieden. Er hat auch eine Pflicht zur Solidarität postuliert.

Oligarch in Tschechien ohne Immunität: Mit EU-Geldern reich geworden

Das Parlament hebt die Immunität des Milliardärs Andrej Babiš auf. Trotzdem wird er im Oktober wohl zum Regierungschef gewählt.

Konferenz afrikanischer Jugendvertreter: Afrikas Jugend will mitreden

Im Vorlauf zum nächsten EU-Afrika-Gipfel formulieren Afrikas Jugendvertreter, worum es geht: Rassismus in Europa, schlechte Politik in Afrika.

Kommentar Flüchtlingspolitik in Europa: Nichts sehen, nichts hören, nichts tun

Die meisten Fliehenden bleiben nahe ihrer Heimat. Im Kongo steigen die Flüchtlingszahlen. Die Krise verschärft sich, die EU bleibt ignorant.

Deutsche Flüchtlingspolitik: Keine Ausweisungen nach Ungarn

Seit dem 11. April wurden keine Geflüchteten aus Deutschland zurück nach Ungarn geschickt, teilt die Bundesregierung mit. Das soll vorerst auch so bleiben.

Treffen in Frankreich: (Anti-)Migrationsgipfel in Paris

Europäische Staats- und Regierungschefs beraten mit afrikanischen Kollegen über Flüchtlinge. Ziel der Zusammenarbeit: Die Menschen sollen in Afrika bleiben.

Debatte Afrika-Bild in Europa: Lasst uns endlich in Ruhe!

Versteckter Rassismus ist unter europäischen Politikern weit verbreitet. Doch afrikanische Länder müssen sich nichts bieten lassen.