taz.de -- „The Party“ im Kino: Die Ministerin heult im Bad

Kauzig sind die Männer, souverän die Frauen, doch naiv ist keiner: Sally Potters Film „The Party“ ist eine rasante Komödie über Leben und Tod.
Bild: Männer machen in „The Party“ definitiv eine schlechtere Figur als Frauen

Tom ist ein labiler, koksender Geldhai. Gottfried ein Guru, der wie Bruno Ganz aussieht. Und Bill ist ein lethargischer Rentner, der hinter seinen weit aufgerissenen Augen die letzten Jahre scheinbar verschlafen hat. Gefühle entlocken ihm vor allem sein Plattenspieler und seine exklusive Musikauswahl.

Sally Potter ist nicht einfach Filmemacherin. Nach ihren Ursprüngen in der freien Londoner Filmszene der Siebziger war sie selbst unter anderem als Performerin, Choreografin und Tänzerin aktiv. Eine Regisseurin also, die Leute und Räume souverän zu inszenieren weiß. Nicht erst seit sie mit „Orlando“ in Oscarnähe rückte, weiß sie intellektuelle Fragen für ein breites Publikum zugänglich zu machen und ist zu einem wichtigen Gesicht des internationalen Autorinnenfilms geworden.

In ihrem diesjährigen Berlinale-Wettbewerbsbeitrag „The Party“ stellt sie oben beschriebener Runde aus kauzigen Typen eine Gruppe ziemlich souveräner, wortgewandter Frauen gegenüber und schafft damit bereits ein polemisches Setting. „The Party“ ist ungemein prägnant, rauscht in flinken Gesprächen und knappen 70 Minuten vorbei. Kugelhagel!

Der Ausgangspunkt: Um Janets Ernennung zur englischen Gesundheitsministerin zu feiern, tauchen ihre langjährigen Freundinnen April und Martha samt Anhang in ihrer Wohnung auf. Es gibt Sekt, der Ofen ist heiß. Statt einer wohligen Feierlichkeit folgen allerdings schnippische Sprüche und ein zunehmend atemloser Schlagabtausch, in den sich feministische Rhetorik, linke Lebensentwürfe und bürgerliche Realitäten eingeschrieben haben. Alle sind irgendwie linksintellektuell und solidarisch miteinander, das Private wird immer wieder vom Reflektieren und Kommentieren überschattet.

Aber hilft das Denken denn noch weiter? Über die Jahre hinweg haben sich diese Menschen voneinander entfremdet. Nicht nur, aber auch in Hinblick auf ihre Arbeit. „I was working day and night for the party – for our party!“, erklärt Janet. Es geht gerade darum, ob sie ihren Mann Bill vernachlässigt hat. Und auch darum, warum über Jahre keine ihrer Freundinnen mit ihr ein wichtiges Gespräch führen konnte. Natürlich, diese Karrierefrau meint mit „Party“ keine Fete. Seit sie ihre ersten Demonstrationen besuchte, hat Janet immer versucht, die Gesellschaft zu verändern, sich mit dem Parteiensystem herumgeschlagen, ihre Linie verteidigt. Und wofür? Zum Dank wird sie von einer Freundin verarscht.

Ob da Zynismus hilft?

Als alle zusammen sind, kommt es ans Licht: Eine gewisse Marianne hat die Leute hintergangen, über Jahre hinweg betrogen. Manche haben mitgespielt, manche sind jetzt plötzlich Opfer. Und dann taucht diese Marianne nicht mal auf. Eine abwesende Frau hat in Potters Film die gesamte Situation im Griff. Wer ist das? Sensibel ist sie anscheinend. Und belesen. Sie sucht Liebe und Leben. Und weder im einen noch im anderen scheint sie einen Unterschied zu machen zwischen Männern und Frauen. Marianne ist eine Verführerin. Die Verführten reißt das jetzt in einen Strudel. Ob da Zynismus hilft? April genießt es, wenn sie der Politikerin Janet zum Mord als Antwort auf ihre enttäuschte Liebe rät. Denn schließlich kann nur direktes, entschlossenes Handeln die Gesellschaft verändern.

Im Grunde ist April gar keine Zynikerin. Aber wenn sich Janet, eine erwachsene Ministerin, weinend im Bad einschließt, dann erreicht sie eben nur noch eine gute Freundin. Beide wissen, wovon die Rede ist, wenn es um Zynismus geht.

Potters Film verbindet sein Personal durch eine feine Balance präziser Denkwege und menschlicher Marotten. Die im Film verhandelten Ideen schlüsselt sie auf, mit Biografien und Anekdoten. Das Denken ist hier fundiert und zugänglich. Kein Zweifel: Die Beteiligten sind unmittelbar im Moment, es geht um Leben und Tod. Und doch erzählen sich hier alle über Umwege immer wieder in die Vergangenheit. Und spiegeln so die gesellschaftlichen Zustände der letzten Jahrzehnte.

Es entspinnt sich ein Film, in dem niemand wirklich naiv wirkt. Diese Partygäste sind starke Figuren, gespielt von Profis, die sich ganz bewusst einander aussetzen. In aktuellen Komödien ist so etwas selten. Gleich am Anfang richtet Kristin Scott Thomas als Janet die Knarre auf die Kamera: auf die Unsichtbare, die alles einfädelt.

27 Jul 2017

AUTOREN

Dennis Vetter

TAGS

Kino
Spielfilm
Generationen
Komödie
Schauspieler
Bürgertum
Schwerpunkt Berlinale

ARTIKEL ZUM THEMA

Spielfilm „Kaffee mit Milch und Stress“: Gehen mit Schmerzen

Die Alterskomödie von Regisseur Dome Karukoski ist ein Appell für mehr Flexibilität im Denken und Tun – und zwar von allen Generationen.

Amerikanisch-pakistanische Komödie: Nie die richtigen Worte finden

Viel von seinem Leben hat Drehbuchautor Kumail Nanjiani in „The Big Sick“ gepackt. Oft weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll.

Berlinale-Staralbum: Patricia Clarkson: Die Unaufdringliche

Sie sagt kaum ein Wort auf der Pressekonferenz, füllt den Raum aber mit ihrem harmonischen Lächeln: die Schauspielerin Patricia Clarkson.

Sally Potters „The Party“ bei der Berlinale: Alk und Affären

Pointiert und intelligent hält Sally Potter in „The Party“ dem Publikum den Spiegel vor. Sie seziert ihre sieben Figuren genüsslich.

Vorschau auf die 67. Berlinale: Programm als Protest

Es ist wieder Berlinalezeit. Unter den knapp 400 Filmen kann man zarte Bande knüpfen. Doch große politische Weltschau ist sie nur eingeschränkt.