taz.de -- Sally Potters „The Party“ bei der Berlinale: Alk und Affären

Pointiert und intelligent hält Sally Potter in „The Party“ dem Publikum den Spiegel vor. Sie seziert ihre sieben Figuren genüsslich.
Bild: Wenn alle Lebenslügen entlarvt sind, hilft nur noch trinken

Vor ein paar Tagen wurde im Wettbewerb zum Dinner geladen, nun heißt es „The Party“, und welch eine Freude ist dieser Film von Sally Potter! Eingeladen wäre man bei diesem Treiben zwar nicht gerne, das Zuschauen und Zuhören ist jedoch ein großes Vergnügen.

Schon mit früheren Filmen wie „Yes“ und „Rage“ war die Engländerin Sally Potter bei der Berlinale und zeigte sich als Meisterin des geschliffenen, pointierten Dialogs, mit dem sie gesellschaftliche Strömungen satirisch pointiert sezierte. Sieben Figuren bilden die Welt von „The Party“, weniger realistische Charaktere als zugespitzte Typen, wie sie besonders bürgerliche Kreise der Gegenwart bevölkern.

Gastgeberin ist Janet (Kristin Scott Thomas), Politikerin bei einer Oppositionspartei, die gerade zur Gesundheitsministerin ernannt wurde. Sie hat ihr Leben der Politik gewidmet und darüber ihren Mann Bill (Timothy Spall) vernachlässigt, der in den Alkohol, seine Plattensammlung und die Arme einer anderen Frau geflüchtet ist – in die von Marianne, einer alten Freundin und politischen Konkurrentin Janets, zudem die Ehefrau von Tom (Cilian Murphy), einem windigen Börsenhai, der mit Paranoia und geladener Pistole zur Party erscheint, um regelmäßig im Bad zu verschwinden und seine Probleme mit einer weiteren Linie Koks zu betäuben.

Weiter sind die ältere Professorin Martha (Cherry Jones) und ihre jüngere Frau Jinny (Emily Mortimer) zu Gast, die gerade erfahren haben, dass sie Drillinge bekommen. Schließlich April (Patricia Clarkson), die mit Janet, Marianne und Martha eine Schwesternschaft bildet. Seit Universitätstagen träumten sie davon, die Vorherrschaft der Männer zu brechen.

Flucht in Wein und spirituelle Gedanken

Auch wenn sie die zynischste im Bund ist, ist April mit Gottfried (Bruno Ganz) liiert, der wie alle drei Männer am Verlust seiner einst ungefährdeten Stellung laboriert. Während jedoch Bill den Wein und Tom das Geld gewählt haben, flüchtet sich Gottfried in spirituelle Gedankenwelten und hält das westliche Gesundheitssystem für Voodoo.

Man merkt schon: Nicht weniger als auf das große Ganze zielt Potter, hat Typen geschaffen, die jedem, der sich in linken Kreisen bewegt, bekannt vorkommen dürften, hoffentlich nicht beim Blick in den Spiegel. Diesen Spiegel hält Potter bürgerlichen Kreisen nun vor die Nase, seziert in ihren brillanten Dialogen Lebenslügen und das Gefühl, etwas verändert zu haben. Fast ganz oben sind gerade die Frauen des Films angekommen, leben nach ihrer Façon, haben Ehen und Affären, doch an den Strukturen des Zwischenmenschlichen hat sich kaum etwas verändert. Warum auch?

Natürlich geht Potter nicht über eine Zustandsbeschreibung hinaus, versucht nicht, einen Weg aufzuzeigen, wie es besser ablaufen könnte. Sie zeigt auf, beobachtet, spitzt zu, setzt Pointen, als wäre man auf dem Boulevard, schafft es dabei jedoch durch eine mobile Kamera, jegliche Theatralik zu vermeiden.

Zwar könnte man sich „The Party“ mit seinem reduzierten Set problemlos auch auf der Bühne vorstellen, allerdings nur mit einem Ensemble, das ähnlich brillant aufspielt wie dieses. Nach kaum 70 Minuten ist der Spaß schon vorbei, mit einer letzten kleinen Pointe, die noch einmal den Blick auf das zuvor Gesehene verschiebt. Kürzer ist in diesem Jahr kein Film im Wettbewerb, pointierter und intelligenter war – zumindest bislang – auch keiner.

14 Feb 2017

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Michael Meyns

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