taz.de -- Politischer Film: Was wissen schon die Kennedys?

Raoul Peck gelingt mit „I Am Not Your Negro“ ein brillanter, wenngleich pessimistischer Filmessay über Rassismus in den USA.
Bild: James Baldwin

Die Berlinale, gerade der Wettbewerb, versteht sich auch als Plattform für gesellschaftskritische Filme. Wobei die Filme dann bisweilen allein dafür Beifall zu erwarten scheinen, dass sie die „richtige“ Haltung einnehmen. Manche aber haben große Klasse. Einerseits wühlen sie auf und machen wütend, aber sie schwören diese Emotionen nicht mit simpler Agitation herauf, sondern durch ihre Intelligenz.

So ein Film ist „I Am Not Your Negro“ von Raoul Peck, der nur – wie man sagen muss – im Panorama zu sehen ist, denn eigentlich gehört dieses Meisterwerk in den Wettbewerb, wo er nicht gezeigt werden kann, da er keine Weltpremiere ist.

So oder so ist „I Am Not Your Negro“ ein Ereignis, ein brillanter filmischer Essay, der eines der brennendsten Themen der USA wie im Brennglas seziert: den schwelenden Konflikt zwischen schwarzen und weißen Amerikanern, der zuletzt zu immer brutaleren Ausschreitungen, zu Morden und Zerwürfnissen geführt hat.

Drei markante Figuren der Büregerrechtsbewegung

Peck geht sein Thema nicht frontal an, sondern nimmt Texte des 1987 verstorbenen Autors und Denkers James Baldwin zur Grundlage. 1979 arbeitete Baldwin an einem Buch, in dem er die Geschichte der Bürgerrechtsbewegung anhand von drei markanten Figuren erzählen wollte, drei Männern, mit denen er bekannt war, drei Männern, die in den 60er Jahren ermordet wurden.

1963 Medgar Evars, eine wichtige Figur der NAACP, der Organisation für die Rechte der Schwarzen, Malcolm X, das Anfangs radikale Mitglied der Nation of Islam, der sich in den letzten Jahren vor seiner Ermordung 1965 zum friedlichen Muslim wandelte, und schließlich Martin Luther King, der stets den friedlichen Widerstand propagierte und 1968 als letzter des Trios erschossen wurde.

Viel Archivmaterial hat Peck zusammengetragen, das er zu einer groben Geschichte der Bürgerrechtsbewegung montiert. Das wäre schon interessant, doch hier ist das nur der Beginn einer viel größeren und auch ernüchternderen Analyse.

Baldwins skeptische Ansicht

Stehen anfangs noch die drei genannten Bürgerrechtler im Mittelpunkt, verlagert Peck den Fokus bald auf Baldwin selbst. Der war 1953 durch den Roman „Go Tell It on the Mountain“ berühmt geworden und hatte seitdem einen festen Platz in der amerikanischen Intellektuellenszene, war gern gesehener Gast in Talkshows, obwohl er in seiner Analyse der Rassenbeziehungen eine viel skeptischere Ansicht vertrat als die meisten anderen.

Für Baldwin war es entscheidend, dass sich die Rassen, die durch die Geschichte der Sklaverei, der Basis des amerikanischen Reichtums und der amerikanischen Macht, untrennbar verbunden waren, auch als Menschen auf Augenhöhe begegnen. Wissen die Kennedy-Brüder etwa, wie Schwarze leben, fragt Baldwin einmal, interessieren sie sich denn für die Lebensbedingungen der Menschen, für deren Rechte sie sich eingesetzt haben?

Peck, der mit seinem Film in den 50er, 60er Jahren ansetzt, schwenkt dann den Blick mehr und mehr nach vorn und zeigt berühmt-berüchtigte Bilder, die den Bogen in die Gegenwart schlagen: Rodney King, der von Polizisten verprügelt wird, O. J. Simpson im weißen Bronco und vor Gericht, offensichtliche Morde, begangen von Polizisten an meist unbewaffneten Schwarzen, die Ausschreitungen von Ferguson.

Doch während die Bilder in der Gegenwart angekommen sind, bleibt die Tonspur in der Vergangenheit: Ausschließlich Texte von James Baldwin sind zu hören, Texte aus den 80er, 70er und 60er Jahren, die eine Situation beschrieben, die viele Jahrzehnte zurückliegt, die aber exakt beschreiben, was auch heute noch amerikanische Realität ist.

Ob er Hoffnung habe, dass die Rassen eines Tages wirklich in Frieden zusammenleben würden, nicht neben-, sondern miteinander, wird Baldwin einmal gefragt: Mit traurigem Blick, die Zigarette wie stets zwischen den Fingern, verneint er. Nach den aufrüttelnden, aufwühlenden 105 Minuten dieses brillanten, im besten Sinn des Wortes politischen Films wird man Baldwin recht geben. Leider.

17 Feb 2017

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Michael Meyns

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